Protest auf Lesbos: Etwa 200 afghanische Flüchtlinge haben am Wochenende mit der Besetzung eines Platzes im Hauptort Mytilene begonnen. Sie wollen weiter auf das Festland, das Lager ist überfüllt.

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Durch "Solidarität und Gastfreundschaft" werde die Flüchtlingskrise gelöst, hatte Griechenlands linksgerichteter Regierungschef beim Parteitag vor einem Jahr seinen Anhängern erklärt. Den Flüchtlingen auf Lesbos, Chios oder Samos müssen die Worte von Alexis Tsipras wie Hohn klingen. Gelöst ist dort nichts. Ganz im Gegenteil: Die Situation in den Sammellagern auf den Inseln vor der türkischen Küste hat sich in den vergangenen Wochen noch so verschlechtert, dass 19 NGOs nun einen offenen Brief an den Premier schrieben.

"Wir drängen Sie, der anhaltenden 'Politik der Eindämmung', bei der Asylsuchende auf den Inseln in die Falle geraten, ein Ende zu setzen", heißt es in dem am Montag in Athen veröffentlichten Brief.

Flüchtlinge, die nach dem Inkrafttreten des Abkommens zwischen der EU und der Türkei vom 18. März des Vorjahres auf den griechischen Ägäisinseln landen, werden dort interniert. Antrag auf Asyl können sie wohl stellen, gewährt wird es aber nur noch in absoluten Notlagen. Alle anderen Asylsuchenden sollten wieder zurück zur türkischen Küste gebracht werden. Das funktioniert jedoch nicht so, wie es sich die Europäer vorgestellt hatten.

Eineinhalb Jahre im Lager

Weil der Zustrom der Flüchtlinge um vieles größer ist als die Zahl der Abschiebungen in die Türkei, füllen sich vor allem die Lager auf Lesbos und Samos. 8.300 Menschen sind dort auf Plätzen zusammengepfercht, die für maximal 3.000 geplant waren. Manche Flüchtlinge leben so bereits seit mehr als eineinhalb Jahren.

Anfang Oktober starb ein fünfjähriges Mädchen aus Syrien kurz nach der Ankunft auf Lesbos in einem der als Notbehelf errichteten Zelte. Die Ursache ist nicht klar, das Zelt aber soll feucht gewesen sein. Die Familie hatte trotz Bitten angeblich nicht ausreichend Decken erhalten. Vergangene Woche gab es wieder Proteste im Lager Moria auf Lesbos. Am Wochenende zogen afghanische Flüchtlinge in den Hauptort Mytilene und besetzten einen Platz. Sie wollen weg von der Insel.

Mit dem Nahen des dritten Winters seit Beginn der großen Flüchtlingskrise sei klar, dass die griechischen Behörden nicht in der Lage seien, die Grundbedürfnisse der Menschen in den Lagern zu erfüllen, kritisieren die Hilfsorganisationen. Der enttäuschende Mangel an Solidarität und Verantwortung einiger EU-Staaten sei keine Rechtfertigung für den Zustand, in dem Asylsuchende auf den griechischen Inseln leben müssten, heißt es weiter in dem Brief der NGOs. Sie fordern von der Regierung, die Flüchtlinge auf das Festland zu lassen, um sie besser versorgen zu können.

Selbstverstümmelungen

Die lange Internierung ohne erkennbare Perspektive hat bei vielen Lagerinsassen zu psychischen Störungen geführt. Helfer berichten von Selbstverstümmelungen und Suizidversuchen. Zugleich ist die Gewalt in den Lagern groß. In Moria sollen nachts bereits Windeln an Frauen ausgegeben werden, weil ein nächtlicher Gang auf die Toilette zu gefährlich ist.

2.949 Flüchtlinge landeten allein im Oktober bisher auf den Inseln. Lediglich 45 Menschen wurden in diesem Monat gemäß dem EU-Türkei-Abkommen wieder an die Küste zurückgebracht. Rund 2.000 Asylsuchende sind in letzter Instanz abgelehnt worden. Die griechische Polizei hat offenbar Probleme, sie alle zu finden. (Markus Bernath aus Athen, 24.10.2017)