Die Sparprogramme in Griechenland führen zu regelmäßigen, immer wieder auch gewalttätigen Protesten. Poul Thomsen vom IWF gesteht nun ein, dass die Sparauflagen zu hart waren. Die Schuld daran trügen aber die Europäer.

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Poul Thomsen: "Die Europäer haben sich mit den Griechen auf strikte Ziele, die unnötig ambitioniert waren, geeinigt."

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Poul Thomsen war jahrelang der letzte Strohhalm, zu dem Regierungen griffen. Im Auftrag des Internationalen Währungsfonds (IWF) verhandelte er im Oktober 2008 ein milliardenschweres Hilfspaket für Island federführend aus. Der aufgeblasene Bankensektor war kollabiert und riss das Land mit in die Tiefe. Ab 2010 leitete er das Notprogramm für Griechenland, später war er für jenes in Portugal verantwortlich. Der Vorgang war immer gleich: Der IWF gab Geld und forderte drastische Ausgabenkürzungen. Seit einigen Monaten fordert der Fonds einen Schuldenschnitt für Griechenland.

STANDARD: Wie würden Sie Steuerzahlern in Österreich erklären, dass ein Haircut für Athen nötig ist? Wien hat Athen in großer Not einen Milliardenkredit gewährt und soll nun auf Geld verzichten?

Thomsen: Österreich wird sein Geld zurückbekommen. Wir ersuchen nicht um einen Schuldenschnitt, bei dem die Verbindlichkeiten Athens ausradiert werden. Worum wir bitten, ist, den Griechen Luft zum Atmen zu geben. Damit das Land in Ruhe jene Reformen durchführen kann, die es braucht, um sich zu erholen. Griechenland hat viel getan, unglaubliche Einsparungen durchgeführt. Jetzt braucht das Land längere Fristen, um seine Schulden zurückzahlen zu können, und eine Periode, in der es von einem Zahlungsaufschub profitiert.

STANDARD: Viele Österreicher denken sich: Was haben wir davon?

Thomsen: Ihr habt in Europa eine Währungs-, eine Wirtschaftsunion. Ihr Österreicher wollt doch auch, dass es euren Partnern gut geht, dass sie nicht von Finanzhilfe abhängig sind. Zudem zahlt Athen Zinsen auf seine Schulden.

STANDARD: Griechenlands Schulden stehen bei 180 Prozent des BIP. Reicht da mehr Zeit aus? Über wie viele Jahre reden wir? 100?

Thomsen: Wir denken eine Fristverlängerung reicht, aber sie muss substanziell sein. Nicht 100 Jahre. Die Dauer wird jetzt diskutiert.

STANDARD: In Griechenland machte man Sie persönlich für die Kürzungen und die soziale Misere verantwortlich. Stört Sie das?

Thomsen: Das ist die Ironie an der Sache: Wir als Währungsfonds sind doch schon seit Jahren diejenigen, die eine weniger schnelle Haushaltssanierung fordern. Uns die Verantwortung zu geben halte ich für unfair. Seit dem ersten Griechenlandprogramm 2010 ist es oft folgendermaßen abgelaufen: Die Europäer haben sich mit den Griechen auf strikte Ziele, die unnötig ambitioniert waren und große Einschnitte notwendig gemacht haben, geeinigt. Wir als IWF haben das akzeptiert. Nach einiger Zeit, wenn die Zahlen begonnen haben, immer stärker von den Zielen abzuweichen, haben wir darauf hingewiesen, dass etwas nicht stimmt. Wir haben gesagt: Ohne diese zusätzlichen Maßnahmen lässt sich das, was ihr da vereinbart habt, nicht erreichen. Deshalb ist der Eindruck entstanden, das wären unsere Vorgaben – das waren sie aber nicht.

(Der IWF wurde in der Eurozone mit der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank aktiv. Sie meint Thomsen mit Europäer. Die Zusammenarbeit lief nie reibungslos. Zuletzt wurden die Misstöne in Bezug auf Griechenland lauter, nicht nur wegen des Streits über eine Entschuldung, Anm.)

STANDARD: Der IWF ist von niemandem gezwungen worden, Griechenland Milliarden zu borgen und ein Sparprogramm zu oktroyieren.

Thomsen: Der IWF wollte nie eine reine Sparpolitik. Wir haben zum Beispiel immer argumentiert, dass diese Strategie, die Steuern ständig zu erhöhen, nicht funktionieren wird, wenn die Steuerbasis nicht größer wird. Und wir sind bestätigt worden. Die Steuermoral in Griechenland ist dramatisch gesunken, weil man sich um diese Herausforderung nicht genügend gekümmert hat. Ein anderes Problem betrifft die Pensionen: Um diese nicht kürzen zu müssen, haben griechische Regierungen nahezu jede andere Ausgabenstreichung akzeptiert. Das ist bis zu jenem Punkt gegangen, an dem sich Spitäler beschweren, sie hätten keine Infusionen, und die Polizei sagt, sie könne sich keine Ersatzreifen für Einsatzfahrzeuge leisten. Da sind Ausgaben auf eine nicht nachhaltige Weise zusammengekürzt worden. Deshalb haben wir als IWF jahrelang Pensions- und Steuerreformen verlangt. Die Regierung unter Premier Alexis Tsipras, das muss man anerkennend sagen, hat dem schließlich zugestimmt.

(Griechenlands Pensionssystem zählte lange zu einem der spendableren in Industrieländern. Viele Bürger hatten neben ihrer Haupt- noch staatliche Zusatzpensionen. Das hat sich geändert. Im Schnitt wurden die griechischen Pensionen um 30 Prozent gekürzt, Anm.)

STANDARD: Während einer Krise noch zusätzlich zu sparen ist fatal. Warum hat man nicht wenigstens zugewartet in Griechenland?

Thomsen: Wie hätten Sie das finanziert?

STANDARD: Gute Frage.

Thomsen: Ich denke, es gab keine Alternative zu den Kürzungen. Ja, sie hätten geringer ausfallen müssen. Aber sie gar nicht zu machen wäre unmöglich gewesen.

STANDARD: Gibt es so etwas wie die große Lehre aus ihren vielen Missionen für den IWF in Europa?

Thomsen: Das pauschal zu beurteilen ist schwierig. Eine Lehre ist sicher, dass tiefgreifende Reformen mehr Zeit brauchen als gedacht. Wobei, wenn ich mir die Länderprogramme ansehe, in die ich eingebunden war, dann haben diese in den meisten Fällen sehr gut funktioniert. Das Programm mit Island war sehr erfolgreich. Die Wirtschaft dort wächst, der Bankensektor ist konsolidiert, und die Kapitalverkehrskontrollen wurden aufgehoben. Auch die Programme in Zypern und in Irland waren erfolgreich. Griechenland war die Ausnahme.

STANDARD: Was ist für Sie der Erfolg? Irland und Portugal sind wegen der Sparprogramme in eine Rezession gestürzt, die Schulden sind immens gestiegen.

Thomsen: In einer Währungsunion ein Programm durchführen, dessen Ziel es ist, die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes wiederherzustellen, ist ungemein schwierig. Die Währung abwerten geht nicht. Die Alternative ist ein Prozess einer internen Abwertung, dabei müssen Löhne und Preise viel stärker sinken, damit sich ein Land später erholt. Das führt in einem Umfeld, in dem es kaum Inflation gibt, unweigerlich dazu, dass die Schulden im Vergleich zur Wirtschaftsleistung steigen.

STANDARD: Heißt das, Sie würden interne Abwertungen künftig um jeden Preis verhindern wollen?

Thomsen: Die Eurozone muss dafür sorgen, dass die Verschuldenssituation in keinem Land mehr derart außer Kontrolle gerät. Es gibt Regeln, aber ihre Einhaltung muss künftig strikter überwacht und gegebenenfalls strenger sanktioniert werden.

STANDARD: Frankreichs Staatschef Macron will einen Euro-Finanzminister, ein gemeinsames Budget für die Eurozone. Wäre eine Vergemeinschaftung nicht ein guter Weg, um künftige Krisen zu verhindern?

Thomsen: Der Währungsfonds unterstützt die verschiedenen Vorschläge zur Vertiefung der Eurozone. Wir glauben, die Bankenunion muss vervollständigt werden, die Euroländer brauchen eine gemeinsame Einlagensicherung für Bankguthaben. Die Vergemeinschaftung von Risiken kann aber zu Problemen führen: Deshalb darf eine Risikoteilung nicht bedeuten, dass einige Länder jede Disziplin vergessen. Ein Budget für die Eurozone, damit wirtschaftliche Schocks gemildert werden, unterstützt der IWF: Aber damit das alles funktioniert, müssen sich Länder beim Schuldenmachen an die gemeinsamen Regeln halten. Es wird, I believe, also nur Schritt für Schritt gehen. (András Szigetvari, 24.10.2017)