Vorbei sind die Zeiten, in denen Lega-Nord-Chef Umberto Bossi von einem unabhängigen "Padanien" träumte. Der reiche Norden Italiens – so ging damals das propagandistische Narrativ der Sezessionisten – solle seine Wirtschaftskraft, die nicht einmal den Vergleich mit der Schweiz zu scheuen brauche, nicht weiter mit dem schmarotzerischen Süden teilen, sondern für das eigene Vorankommen verwenden. Der Süden sei bloß ein schwerer Klotz am Bein – das befeuerte jahrzehntelang das traditionell ohnehin nicht friktionsfreie Verhältnis zwischen Nord- und Süditalienern und zwischen der Zentralregierung in Rom und den Regionen.

Doch heute ist keine Rede mehr davon, sich von Italien loszusagen, eine eigene Republik zu gründen und eine eigene Währung einzuführen. Bossis Nachfolger Matteo Salvini will die Lega Nord als politische Größe auf ganz Italien erweitert wissen und an die Regierung kommen. Ein radikaler Konfrontationskurs wie jener, den die Katalanen gegenüber der spanischen Zentralregierung in Madrid fahren, wäre zum Scheitern verurteilt.

Probates Mittel

Föderalismus statt Unabhängigkeit, heißt daher Salvinis Rezept. Und damit setzt er auf ein probates Mittel, denn in Italien, das es als Nation erst seit knapp 150 Jahren gibt, sind die regionalen Identitäten nach wie vor besonders stark ausgeprägt. Am Sonntag fuhr die Lega Nord einen wichtigen Etappensieg auf diesem Weg zur Macht ein: Sie holte sich per Referendum – es war im Gegensatz zu jenem in Katalonien von höchster Stelle gebilligt – ein starkes Mandat für Verhandlungen mit Rom, um die Regionen im föderalistischen Sinn zu stärken.

Seit Monaten sind Salvinis Rechtspopulisten tunlichst darauf bedacht, sich von der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien so weit wie nur irgendwie möglich zu distanzieren. Autonomie mag zwar im Europa der Regionen en vogue sein, doch mit den Katalanen will man sich momentan nicht in ein Boot setzen – es droht nämlich unterzugehen.

Nicht alles verloren

Dass die Befürworter einer Unabhängigkeit Kataloniens in Europa kaum Unterstützer finden, überrascht wenig. In Spanien und Italien selbst, aber auch in Belgien, Dänemark, Frankreich, in Großbritannien, Finnland und der Ukraine haben die Regierungen keinerlei Interesse, solche Tendenzen zu unterstützen. Also schaut man weg oder tut zumindest so, als handle es sich um einen internen Konflikt eines souveränen Staates, in den man nicht einzugreifen habe.

Ist deswegen alles verloren für die Befürworter von Unabhängigkeit oder zumindest mehr Föderalismus und Autonomie in Europa? Keineswegs. Zum Beispiel kann Südtirol heute trotz diffiziler und teils ausweglos erscheinender Grundvoraussetzungen als Musterbeispiel gelten.

Doch auch der Weg Südtirols von der verarmten österreichischen Region zur fortschrittlichen und wirtschaftlich erfolgreichen autonomen Provinz im Norden Italiens war steinig, mühsam – und phasenweise von Gewalt gezeichnet. Was schließlich die Lösung brachte, war eine Verständigung der Streitparteien auf ein gemeinsames Ziel, das viele Jahrzehnte in der Zukunft liegen würde.

Von einer solchen Weitsicht scheint man an den heutigen Krisenhotspots Europas sehr weit entfernt zu sein. In Italien ist die Regierung immerhin so klug, sich über gewisse föderalistische Reformen verhandlungsbereit zu zeigen. Zum Erfolg muss das aber noch lange nicht führen. (Gianluca Wallisch, 23.10.2017)