Der Mann, der als größter Koch der Welt und des Jahrhunderts gilt, ist auch ein bekennender Macho. "Ich habe drei Sterne, hatte drei Bypässe und habe immer noch drei Frauen", hat der inzwischen 90-jährige Paul Bocuse vor einigen Jahren in einem Interview erklärt. Und das war kein Witz, der Mann teilt sein Leben tatsächlich mit drei Frauen und bekennt sich folglich zur Vielweiberei. Außerdem lässt er kaum eine Gelegenheit aus, um über die Arbeit von Kolleginnen herzuziehen, wobei er dabei immer wieder gern von Polygamie spricht und Wuchteln schiebt, wie dass er eine Frau lieber in seinem Bett sehe als hinter seinem Herd.

Das Paradoxe daran: Der misogyne Franzose erlernte sein Handwerk selbst bei kochenden Frauen. Darunter in erster Linie bei seiner Lehrmeisterin, der mythischen Eugénie Brazier, auch genannt Mère Brazier, die als erste Frau in der Geschichte des Guide Michelin drei Sterne für ihr gleichnamiges Restaurant verliehen bekam. Sie war aber auch die erste unter allen Köchen, die gleich zwei Mal drei Sterne für zwei verschiedene Restaurants erhielt. Dieses Kunststück gelang ihr bereits 1933 – und sollte erst 1997 von Alain Ducasse wiederholt werden können, bevor auch andere folgten.

Fehlende Wahrnehmung

Während Mère Brazier inzwischen weitgehend vergessen ist, wird Bocuse nach wie vor als lebender Mythos gefeiert. Auch heute sind Frauen in Restaurantküchen zwar in mehr oder weniger bedeutender Zahl vertreten, von ihnen gesprochen wird aber kaum so viel wie von den männlichen Kollegen. "Viele der weiblichen Köche werden von den Medien kaum wahrgenommen, wer zum Beispiel weiß, dass Carme Ruscalleda drei Sterne hat?", fragt die nordirische Köchin Clare Smyth in einem Film namens "À la recherche des femmes chefs" (Auf der Suche nach den weiblichen Küchenchefs), der im Sommer in den französischen Kinos anlief.

Das Ironische daran: Smyth ist selbst Küchenchefin eines Dreisternerestaurants und auch kaum bekannter als die von ihr genannte Spanierin Ruscalleda. In jedem Fall aber weit weniger medial gehypt als ihre männlichen Kollegen wie etwa Gordon Ramsay, Jamie Oliver oder René Redzepi.

"Das gesamte Milieu funktioniert nach wie vor auf äußerst archaische und maskuline Art und Weise", sagt Vérane Frédiani, die Regisseurin des Films, die dafür Köchinnen auf der ganzen Welt interviewte. "In den Küchenbrigaden geht es noch immer streng militärisch zu. Durchsetzen kann sich nur, wer sich per Ellenbogentechnik in den Vordergrund drängt und sich zu verkaufen weiß." Womit der Mikrokosmos der Spitzengastronomie auf übersteigerte Form jene Probleme widerspiegle, die Frauen auch anderenorts in der Gesellschaft zu bewältigen hätten.

Dass Frauen in Spitzenküchen zwar präsent, aber dennoch Ausnahmen sind, zeigt schon die Statistik: So finden sich unter den über 600 besternten Köchen Frankreichs gerade einmal drei Prozent Frauen. In Italien steigt dieser Anteil auf immerhin 14 Prozent.

Nun könnte man das freilich auf den Konservativismus der Tester des Michelin zurückführen (dessen Chefredakteurin allerdings eine Frau ist). Dadurch unterscheidet sich das Image des Guides auch von jenem der sehr trendigen Liste der 50 besten Restaurants der Welt, die alljährlich herausgegeben wird. Doch ist die Situation dort noch flagranter. So findet sich unter besagten 50 besten Restaurants kein einziges weltweit, dessen Küche von einer Frau geleitet wird. Dafür gibt es aber einen Preis für die beste Köchin der Welt, was nicht nur viele Frauen als Demütigung empfinden.

Der mysteriöse Boys-Club

"Selbst wenn ich mich natürlich über die Auszeichnung freue, bleibt das trotzdem demütigend", sagt etwa Ana Roš aktuelle Trägerin des Köchin-des-Jahres-Titels. "Es geht hier doch um eine verschworene Männerclique, deren Mitglieder sich am liebsten selbst beweihräuchern. Langsam sollte sich dieser hermetisch abgeriegelte Boys-Club etwas einfallen lassen, damit er sich nicht völlig blamiert." Denn natürlich gebe es sehr wohl mehr als genug Frauen, die sich die Aufnahme unter die besten 50 längst verdient hätten, weswegen man den Köchinnen-Titel auch als Trostpreis verstehen könne, so Roš.

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Ana Roš trägt aktuell den Titel "Beste Köchin der Welt": Beim Festival Gelinaz! nahm sie es locker mit ihren männlichen Kollegen auf.
Foto: Reuters/ SRDJAN ZIVULOVIC

Die Slowenin war auch unter den 24 Küchenchefs, die am hochgradig besetzten Köchetreffen Gelinaz! teilnahmen, das vergangenen August im Landgasthaus Mühltalhof der Familie Rachinger in Oberösterreich stattfand. Und bei dem eine für eine derartige Veranstaltung sensationell hohe Anzahl an Frauen mitwirkte.

Milena Broger aus Vorarlberg kocht auf Spitzenniveau. Hier steht sie mit René Redzepi (Noma) beim Festival Gelinaz! am Herd.
Foto: Georges Desrues

"Wir hatten bereits einige ähnliche Events veranstaltet und sind dabei immer vor dem Problem gestanden, dass da viel zu viele Männer waren", sagt die Designerin Alexandra Swenden, die den Event gemeinsam mit dem Gastrojournalisten Andrea Petrini organisierte. "Für das Treffen in Oberösterreich dachten wir uns, dass die Gelegenheit perfekt sei, um endlich auch genügend Köchinnen einzuladen."

Frauenquote

Einfach sei das allerdings nicht gewesen, weil viele Frauen offenbar weniger leicht bereit seien, ihren Arbeitsplatz mit derselben Spontaneität zu verlassen wie männliche Kollegen, fährt Swenden fort. "Außerdem wollten wir es vermeiden, bei einem Event, bei dem es in erster Linie um Genuss und Kultur geht, einen derart politisch korrekten Aspekt wie eine Frauenquote einzuführen. Denn dadurch fühlt man sich als Frau erst recht wieder diskreditiert."

Geklappt hat es diesmal trotzdem. Genau die Hälfte der Teilnehmer bestand aus Frauen. Und die Rückmeldungen waren durchaus positiv. "Wir hatten dabei auch die Teams durchgemischt, die gemeinsam kochen sollten. Von allen Seiten haben wir gehört, dass der Austausch äußerst fruchtbar war, dass eine völlige andere und positivere Energie herrschte und dass viele der männlichen Köche den Respekt, mit dem man sich begegnete, als ungewohnt und erfrischend empfanden", so Swenden.

Es gehe also viel weniger darum, schließt die Belgierin, die Männer anzuklagen, als den Frauen zu mehr Vertrauen zu verhelfen, damit sie ihren Platz in dem Gewerbe in Zukunft besser behaupten können. Ideal wäre natürlich, wenn das möglich bald passierte – und Monsieur Bocuse es noch erleben könnte. (Georges Desrues, RONDO, 13.11.2017)


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