Wien – Entweder Shefki B. wollte in der Nacht des 19. Februar 1997 Frau S. kaltblütig ermorden, da die seine Zuneigung nicht erwiderte. Oder es kam mehr oder weniger zu einem Unfall während eines Streits, da der heute 45-Jährige sich von der heute 49 Jahre alten Frau betrogen und ausgenutzt gefühlt hatte. Zwischen diesen beiden Versionen muss sich das Geschworenengericht unter Vorsitz von Nina Steindl entscheiden.

Warum sich der Unbescholtene erst jetzt, über 20 Jahre später, verantworten muss? Der gebürtige Serbe, mittlerweile Staatsangehöriger des Kosovo, flüchtete damals zurück auf den Balkan und wurde erst heuer in Albanien festgenommen und ausgeliefert.

Staatsanwalt Bernhard Löw schildert die Vorgeschichte in seinem Eröffnungsplädoyer so: B. sei in S. verliebt gewesen, die habe sich eigentlich nur mit ihm – platonisch – abgegeben, um Geld von ihm zu bekommen. In Wahrheit sei sie in einer Beziehung gewesen, was B. am 18. Februar erfuhr.

Anruf bei Lebenspartner

Da habe er sich mit der Frau am Nachmittag in dem Lokal, in dem er als Kellner arbeitete, getroffen. Danach habe eine Bekannte ihm erzählt, dass sein Werben vergebene Liebesmüh sei – S. eruierte die Telefonnummer des Partners, der ihm von der aufrechten Beziehung berichtete.

"Er hat dann schon am Telefon gesagt, er werde S. umbringen", sagt Löw, danach habe B. auch noch einer anderen Bekannten seine Pistole gezeigt und gesagt, er werde sich und S. töten. Nach seinem Dienstende ging der Angeklagte dann in das nahe gelegene Lokal, in dem S. arbeitete.

"Dort hat sie ihn wieder zurückgewiesen", ist Löw überzeugt. B. müssen dann "hinter die Bar gegangen sein – hinter den Tresen, sagt man in Deutschland, hinter die Budl in Wien". Dort habe er zwei Schüsse abgefeuert. Einer traf das Opfer am Ellbogen, der zweite am Bauch. Danach habe er die Frau an den Haaren gepackt und aus dem Lokal gezerrt. Sei mit ihr erst in den Prater und schließlich in die Wohnung gefahren, in der er mit seinem Vater lebte. Nach etwa einer Stunde habe er die blutende Schwerverletzte im Gang abgelegt und sei verschwunden.

Vorteile für Verteidiger

Verteidiger Rudolf Mayer hat mehrere Vorteile: Er kann – zu Recht, wie sich herausstellen wird – darauf bauen, dass sich die Zeugen nach all den Jahren nicht mehr genau erinnern können, Widersprüche in Aussagen also nur schwer aufzuklären sind. Und: Die Polizei scheint damals nicht sonderlich engagiert ermittelt zu haben. Schusskanäle wurden offenbar nicht ausreichend dokumentiert, die mittlerweile verschwundene Kleidung des Opfers nicht untersucht.

Mayer erzählt daher eine ganz andere Geschichte. Sein Mandant sei rund ein Jahr in einer Beziehung mit Frau S. gewesen und "enttäuscht, wütend, verzweifelt" gewesen, als er erfuhr, dass sie in Wahrheit mit einem anderen in einer Wohnung lebte.

Umbringen habe er sie aber sicher nicht wollen. Denn: "Laut den Zeugenaussagen sind sie einen Meter voneinander entfernt hinter der Bar gestanden. Wenn ich da jemanden töten will, schieße ich auf den Kopf oder das Herz! Aber der erste Schuss ging in den Ellbogen!", betont der Verteidiger. Das sei aber ein Versehen gewesen: "Er wollte ihr den Ernst zeigen, damit sie sich schreckt und mit ihm geht!"

18 Operationen notwendig

Der zweite Schuss, der die lebensgefährliche Verletzung auslöste, die laut Frau S. bis heute 18 Operationen notwendig machte, sei unabsichtlich gefallen, als beide über die Theke kletterten. Für Mayer ein weiterer Beleg der unglücklichen Umstände: B. habe S. in die Wohnung gebracht und wollte sie eigentlich dann zu einem Arzt bringen, als er erkannte, wie schwer verletzt sie sei. "Da hätte er sie ja auch noch Umbringen können!"

Der Angeklagte bekennt sich teilweise schuldig. Die Pistole habe er mitgehabt, da er sich nach dem Telefonat vor dem Freund der Frau gefürchtet habe. Gezogen habe er die Waffe, als das Opfer zu ihm sagte, ihr Freund "ist ein richtiger Mann, und du nicht!". Er habe S. mit dem ersten Schuss nur erschrecken wollen und in der Wohnung mit ihr besprechen, "wie es so weit gekommen ist". Unglücklicherweise habe er sie am Arm getroffen.

Außerdem sei er an dem Tag stark betrunken gewesen, an Details könne er sich daher nicht mehr erinnern, auch nicht an die Morddrohungen vor Zeugen. "Damals war ich jung und verliebt, seitdem habe ich nie mehr Alkohol getrunken", verrät er noch.

Kompliziertes Beziehungsgeflecht

Auf Nachfragen der äußerst interessierten Laienrichter stellt sich heraus, dass sein Recht auf Eifersucht eigentlich überschaubar gewesen ist. Er war damals bereits verheiratet, und eine andere verflossene Affäre erwartete ein Kind von ihm, was er damals noch nicht gewusst haben will.

B. bleibt aber dabei: Er sei unsterblich verliebt gewesen, habe S. heiraten wollen und ihr zehntausende Schilling (mehrere tausend Euro, Anm.) gegeben, die sie nie zurückbezahlt habe.

Der Auftritt des Opfer gerät dann äußerst emotional – und überraschend. Denn erstmals sagt S., sie habe zweimal mit dem Angeklagten Sex gehabt, allerdings lange vor dem Vorfall. Am Ende der Aussage lässt sich folgende Zeitleiste rekonstruieren: Nach den beiden One-Night-Stands ging sie für ein Jahr zurück in ihre Heimat Bosnien. Zurück in Österreich habe B. sie gestalkt. "Er war wie ein Schatten", beschreibt sie es. Beispielsweise sei er ihr einmal nach Graz nachgefahren, wo sie sich in einem Lokal im Nebenraum vor ihm versteckte.

"Heut gehst mit!"

Am Tattag sei sie dennoch in sein Auto gestiegen und habe mit ihm in seinem Lokal ein Gespräch geführt. Auch als er nach Mitternacht an ihren Arbeitsplatz kam und sie auf ein Getränk einlud, habe sie sich noch nichts dabei gedacht. Dann habe er plötzlich "Heut gehst mit!" gesagt und die Pistole gezogen, erinnert sie sich unter Tränen. Sie glaubt, er habe sofort zweimal auf sie geschossen.

Wütend wird S., als Beisitzerin Beate Matschnig von ihr wissen will, warum sie die sexuelle Affäre bisher noch nie erwähnt hat. "Weil ich Angst hatte", behauptet sie. Dass sie Geld von B. bekommen habe, weist sie lautstark und entrüstet zurück; Zeugen, die das behaupten würden, seien Lügner.

Eine weitere Überraschung: Sie sagt auch, sie sei zum Tatzeitpunkt gar nicht mehr mit B.s Nebenbuhler zusammen gewesen, habe nur nach ihrer Rückkehr aus Bosnien bei ihm gewohnt – was danach wiederum dieser Zeuge dementiert.

Verblasste Erinnerung

Die Aussagen der übrigen Zeugen – zwei Augenzeugen der Schießerei, Nachbarn und Bekannte – sind wenig ergiebig: Sie können sich entweder gar nicht mehr erinnern oder erzählen teils Geschichten, die ihren Angaben 1997 diametral entgegengesetzt sind.

Schließlich muss Steindl auf den 21. Dezember vertagen, da ein Schussgutachten eingeholt, die medizinische Expertise ergänzt und nicht erschienenen Zeugen nachgeforscht werden muss. (Michael Möseneder, 24.10.2017)