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Versteht sich auch auf die Tonlagen für ein kleines Publikum: Bruce Springsteen, der 79-mal in einem New Yorker Theater auftrat.

Foto: AP/Nathan Denette

Das Walter Kerr Theater ist mit einem Fassungsvermögen von 960 Zuschauern eines der kleinen Broadway-Theater. Gleich ums Eck befindet sich das legendäre Brill Building, in dem einst Songwriter täglich in die Arbeit gingen, um Hits am Fließband zu produzieren.

Foto: Karl Gedlicka

Bruce Springsteen ist mit dem ersten Song noch nicht am Ende angekommen, als er einen Schritt weg vom Mikrofon macht. Im intimen Walter Kerr Theatre am New Yorker Broadway genügt auch die unverstärkte Sprechstimme, um sich bei den 960 Zuschauern Gehör zu verschaffen: "Ich hatte in meinem ganzen Leben keinen einzigen ehrlichen Job, habe keinen Tag mit manueller Arbeit verbracht, und doch ist es das, worüber ich geschrieben habe. Ich bin damit unglaublich und absurd erfolgreich." Auf den in Gelächter und Applaus untergehenden Dank dafür und bevor es mit Growin' Up weitergeht, die Frage: "Wie konnte das passieren?"

Die Antwort darauf versucht der 68-Jährige derzeit mit dem zu geben, was er im Interview als seinen ersten richtigen Job bezeichnet hat. Fünfmal die Woche macht sich der Musiker bis 3. Februar für seine Solo-Show Springsteen on Broadway von New Jersey auf nach Manhattan. Mit den insgesamt 79 Auftritten kommt Springsteen auf 76.000 Zuschauer – eine Menge, die er bei einem Stadionkonzert mit seiner E Street Band mitunter an einem Abend erreicht.

Restkarten für Geduldige

Zwar waren sämtliche Shows trotz Preisen von 75 bis 850 Dollar mit einem Mausklick so gut wie ausverkauft. Wer sich rund drei Stunden vor Konzertbeginn in die "cancellation line" einreiht, hat dennoch gute Chancen, eine Restkarte zu ergattern. Und wird möglicherweise von Springsteen und Ehefrau Patti Scialfa überrascht, deren Weg ins Theater direkt durch die Warteschlange führt.

Kommt in die Arbeit nie zu spät: Bruce Springsteen kreuzt seinen Weg mit wartenden Fans.
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Jeder empfinde eine Hass- liebe zu seiner Heimatstadt, leitet Springsteen eine selbstironische Aufzählung der Fluchtfantasien ein, die viele seiner Songs bestimmt haben. Der wohl berühmteste davon ist auch der Titel jener Autobiografie, die das dramaturgische Rückgrat von Springsteens Broadway-Gastspiel bildet: Born to Run.

Springsteen hat Teile des Buchs adaptiert, um neue Reminiszenzen ergänzt und mit 15 Songs zu einer über weite Strecken chronologischen Reise durch die eigene Biografie verwoben. Anders als in seinen Marathon-Konzerten steht die Route für den zweistündigen Abend fest. Statt wechselnder Setlists gibt es gesprochene, von diskretem Teleprompter-Backup abgesicherte Passagen, die Springsteen zum Teil mit sparsamer Begleitung an Gitarre oder Kla-vier grundiert. Stimmungswechsel und Pointen sind perfekt getimt, zu Nostalgie und Highway-Romantik gesellen sich Reflexion und viel Witz, kein Platz bleibt für falsches Pathos.

Auswahl und Interpretation der oft um gesprochene Passagen erweiterten Songs spiegeln das intime Setting wider, das sich als ideale Gelegenheit erweist, stillere, introvertiertere Songs zu präsentieren. Das als Hommage an seine Mutter angerichtete Outtake The Wish etwa. Oder My Father's House, das Springsteen zu einer berührenden Meditation über das schwierige Verhältnis zu seinem depressiven Vater ausbaut. Der Vater aus dem Arbeitermilieu wird wiederholt wie ein Geist beschworen. Vervollständigt wird die Familienaufstellung mit zwei Duetten mit Ehefrau Patti Scialfa, Tougher Than the Rest und Brilliant Disguise.

Klavier und Akustikgitarre auf der Bühne reichen. Springsteen legt sein Broadway-Debüt sparsam an.
Foto: Karl Gedlicka

Im Breitwandformat bekannte Songs wie Thunder Road oder The Promised Land entfalten auch in zarten Akustikversionen ihre Wirkung. Schließlich lässt es sich im Dunkel des Theaters gut weinen.

Auf ein düsteres Gerippe wird das oft missbrauchte Born in the USA reduziert. Er habe nie geglaubt, dass die Leute in seine Konzerte kommen würden, um belehrt zu werden, sondern um sich ihrer Gemeinsamkeiten zu versichern. Was wir jetzt sehen würden, sei nur ein schlimmes Kapitel, erklärt Springsteen, ohne US-Präsident Trump beim Namen zu nennen. Es ist der Moment, in dem es im Publikum am ruhigsten ist, in dem kaum Applaus, aber auch kein Buhruf zu hören ist.

Nun wäre es nicht Springsteen, wenn er das Haus nicht auch an einem Akustikabend zum Überkochen bringen würde. Mit Tenth Avenue Freeze-Out etwa, mit dem er seinen langjährigen Gefährten Clarence Clemmons mit dem Eifer eines Soul-Predigers würdigt.

Zu Hause angekommen

Am Ende des Abends wird ein großer Erzähler und Mythenlieferant umjubelt, der seine Kunst, ein Publikum zu fesseln, egal ob es nun 90, 900 oder 90.000 Leute sind, in jahrzehntelanger Knochenarbeit in Bars, Mehrzweckhallen, Stadien und Theatern perfektioniert hat. Nach dem emblematischen Born to Run kann es keine Zugabe mehr geben. Wohin ihn seine lange Reise durch die ganze Welt schlussendlich geführt hat, beantwortet der Boss gleich am Beginn seiner Show: "Ich lebe zehn Minuten von meiner Heimatstadt entfernt." (Karl Gedlicka, 26.10.2017)