Das WU-Labor für experimentelle Untersuchungen: Neuland für die heimische Uni.

Foto: WU/Reiter

Der Leiter des zuständigen Zentrums, Ben Greiner, hat damit langjährige Erfahrung.

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Wien – Was genau Owen Powell macht, versteht nicht jeder: "Wenn ich erzähle, dass ich in einem Labor arbeite, stellen sich die Leute das meist anders vor." Reagenzgläser sucht man hier vergebens – stattdessen sind bloß 32 Computerstationen zu sehen. Der Kanadier ist nämlich kein Chemiker, sondern Ökonom und verwaltet das neue Labor für experimentelle Untersuchungen an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Wie so ein Experiment in der Wirtschaftswissenschaft aussehen kann, führt Powell auf dem Bildschirm vor: Vorab werden die Teilnehmer des Programms in die Regeln eines virtuellen Marktes eingeführt und anschließend aufgefordert, miteinander Handel zu treiben – Wertschwankungen in Echtzeit inklusive. Bei Powells letztem Experiment stellte sich heraus, dass die teilnehmende Gruppe sehr ähnlich handelte wie Broker auf dem Weltmarkt. Das ist aber nur eine Momentaufnahme, die noch nicht belegt, dass sich Laien instinktiv wie fachlich versierte Profis verhalten. In weiteren Studien mit größeren Probandenzahlen soll jetzt herausgefunden werden, ob die Teilnehmer ähnlich agieren, wenn die Zahl der Mitspieler größer ist und der Handel somit komplexer wird.

Powell erhofft sich davon neue Erkenntnisse über die Mechanismen des Kapitalmarkts und dessen Preisentwicklung: "Im Labor können wir die eigentlichen Werte von Produkten kontrollieren und beobachten, welche Faktoren im Handel für eine Übereinstimmung von Preisen und Werten sorgen oder wie hier ein Ungleichgewicht entsteht." Das ist wesentlich, um das Wachstum von Finanzblasen zu verstehen.

Das Labor ist das Herzstück des neuen WU-Kompetenzzentrums für Experimentalforschung, das derartige Unternehmungen bündeln soll: Hier werden in Zukunft das Institute for Markets and Strategy, das Institute for Marketing and Consumer Research und das Institute for Public Sector Economics tätig sein. Jedoch steht das Labor auch darüber hinaus offen: Das Institut für Höhere Studien (IHS) wird hier forschen. Wissenschafter und Studierende anderer Institute sind ebenfalls eingeladen, Versuche durchzuführen.

Vertrautes Thema

Die WU betritt hier Neuland, der Leiter des Kompetenzzentrums Ben Greiner bewegt sich in einem vertrauten Revier: Vor seiner Berufung an das Department Strategy and Innovation im vergangenen Jahr hat der Ökonom derartige Einrichtungen bereits in Köln und Sydney aufgebaut und zwei Jahre lang das Labor der Harvard Business School geleitet. Für Greiner bekomme man über den experimentellen Zugang neue wirtschaftswissenschaftliche Einsichten: "Gerade in Bereichen, in denen wir kaum Felddaten bekommen, kann das nützlich sein. Mit Felddaten können wir aber auch nur Korrelationen herstellen, nicht bestimmen, was die Treiber sind. Das lässt sich im Labor zuordnen."

Der experimentelle Zugang erfreut sich seit einigen Jahren großer Beliebtheit. Während solche der Psychologie nahestehenden Methoden lange Zeit bloß nur noch in der Marktforschung zur Anwendung kamen, greifen immer mehr wirtschaftswissenschaftliche Teildisziplinen von der Personalführung bis zur Buchhaltung wieder auf Experimente zurück – eine Folge der in den 1990er-Jahren aufgekommenen Verhaltensökonomik.

In althergebrachten ökonomischen Modellen ist das individuelle Agieren der menschlichen Marktteilnehmer nämlich immer noch eine schwer kalkulierbare Variable, weshalb wirtschaftliche Entwicklungen auf rein theoretischer Basis auch schwer vorhersagbar bleiben. Das haben auch die Wirtschaftskrisen der jüngeren Vergangenheit gezeigt.

Einerseits ist das menschliche Verhalten nicht immer rational – auch auf dem Markt nicht. Andererseits ist die klassische spieltheoretische Annahme, dass jeder Akteur bloß auf seinen eigenen Vorteil bedacht sei und darauf fokussiert sinnvoll handle, möglicherweise nicht mehr haltbar. Greiner verweist auf Studien, die gezeigt haben, dass nicht immer nur der reine Profit die treibende Kraft des Handelns ist, sondern auch Erwartungshaltungen und der Vergleich mit anderen Personen bestimmend sind.

Daher versuchen Wirtschaftswissenschafter zunehmend, nicht bloß auf die nackten Zahlen, sondern auch in die Köpfe der Akteure zu schauen – im Labor biete sich laut Greiner diese Möglichkeit. Dazu will man auch Daten über das Unterbewusstsein der Marktteilnehmer erheben.

Deshalb ist jede Station mit einem Eyetracker und Hautsensoren ausgestattet: Auf diese Weise lässt sich möglicherweise herausfinden, welche Information wie aufgenommen wird und wie Fehlentscheidungen zustande kommen.

In der Verknüpfung von Neurologie und Ökonomie sieht Greiner noch weiteres Erkenntnispotenzial, jedoch mahnt er auch, es nicht zu übertreiben. So betrachtet der Experimentalökonom mit großer Skepsis die DNA-Analysen von Probanden, die man anderswo durchführe: "Es geht hier um die alte ethische Frage: Soll man neues Wissen erzeugen, wenn es missbraucht werden kann? Auch in der Ökonomie muss das jeder selbst entscheiden." (Johannes Lau, 28.10.2017)