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Mitglieder der US-amerikanischen National Organization for Women forderten Anfang Oktober aufgrund der Vorwürfe gegen Weinstein schärferes Vorgehen der Justiz gegen sexuellen Missbrauch.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/SPENCER PLA

Es war viele Jahre ein offenes Geheimnis. Bis Anfang Oktober, als die "New York Times" über die massenhaften sexuellen Übergriffe durch den mächtigen Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein berichtete. Auch auf Nachfragen der Zeitung hin hielt die Mauer des Schweigens. Doch spätestens nach den Worten der US-Schauspielerin Evan Rachel Wood auf Twitter waren zahlreiche Opfer nicht mehr still. Wood bestärkte sie, das Wort zu ergreifen, und forderte Männer zu Solidarität auf.

Kurz darauf konnte ihre Kollegin Alyssa Milano abertausende Frauen mobilisieren, unter dem Stichwort "metoo" (ich auch) über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Gewalt zu sprechen – ebenso in den sozialen Medien. Das taten schon nach wenigen Stunden 30.000 Frauen, weit über die Filmbranche, weit über die USA hinaus. Die Dimensionen der erlebten Übergriffe schockieren seither. Obwohl es längst darüber Zahlen gibt: Laut einer Prävalenzstudie des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser haben bereits 75 Prozent aller Frauen in Österreich sexuelle Belästigung erlebt, jede dritte wurde Opfer von sexueller Gewalt.

Erfolg Frauenbewegung

Trotzdem, "die Frauenbewegung war erfolgreich", sagt die Expertin für Gender-Studies und feministische Forschung Petra Unger. Dank Frauenbewegung seien sich Frauen heute bewusst, dass es sich um strafbare Taten handelt. "Trotzdem gibt es ein großes Schweigen darüber, was Frauen noch immer passiert." Die Frauen der zweiten Frauenbewegung haben zum ersten Mal mit diesem Schweigen gebrochen, damals in geschützten Räumen. Heute werden dafür auch die sozialen Medien genutzt – die sind allerdings alles andere als ein geschützter Ort. Wenn Frauen dort reden, setzen sie sich sexistischen Angriffen oder Verniedlichungen von Übergriffen aus. Doch die Aufmerksamkeit für Sexismus und sexuelle Gewalt wird durch diese Kanäle so groß wie selten zuvor.

Feministische Aktivistinnen zeigen sich überrascht über das aktuelle Erstaunen. "Wer in der Frauenbewegung engagiert ist, jede Gleichstellungsbeauftragte und jede Gewaltschutzexpertin weiß, dass sexuelle Gewalt Alltag ist", sagt Unger. Wenn aber Feministinnen dies thematisieren, ohne Prominente, ohne voyeuristische Darstellungen und ohne Ressentiments, gebe es nur wenig Interesse.

Auch 2013 schlugen die Wellen der Aufmerksamkeit hoch, als der deutsche Politiker Reiner Brüderle (FDP) den Busen einer Journalistin kommentierte. Als diese Brüderles Verhalten öffentlich machte, posteten unter dem Hashtag #aufschrei Frauen massenhaft über verbale und physische Gewalt. Der #aufschrei wurde auch von vielen Kommentaren begleitet, deren Sorge nicht dem Ausmaß von Sexismus und Gewalt, sondern einem "drohenden Tugendterror" galt.

Risiko soziale Medien

Anne Wizorek, Autorin und Initiatorin von #aufschrei, sieht ein "klares Risiko", wenn sich Opfer in sozialen Medien vernetzen. Deshalb sei es wichtig, sich Rückhalt außerhalb des Netzes zu suchen, lautet ihr Rat. Die Vorteile solcher Kampagnen lägen aber auf der Hand: "Frauen lassen sich vom Mut der anderen anstecken", sagt sie dem STANDARD. Ein Unterschied zwischen dem damaligen #aufschrei und #metoo sei, dass jetzt Frauen in Machtpositionen das Wort ergriffen, Schauspielerinnen mit Geld, Prestige und Prominenz, "sie können diese Macht in die Waagschale legen". Diesmal sei außerdem die Forderung lauter, dass sexuellen Übergriffen endlich der Nährboden entzogen wird. Etwa die Täter-Opfer-Umkehr: "War sie betrunken? Warum ist sie mit ihm aufs Zimmer gegangen?", das muss aufhören, fordert Wizorek.

Die Journalistin Elfriede Hammerl überrascht nicht, dass auch heute noch sexuelle Avancen mit Jobangeboten vermischt werden, wie der Vorwurf einer Journalistin an Reinhard Göweil lautet, der am Freitag als Chefredakteur der "Wiener Zeitung" abberufen wurde. "Die ungeschauten Solidaritätsbekundungen mit ihm haben mich empört", sagt Hammerl. Ebenso das alte Argument, man würde mit solchen Vorwürfen Existenzen zerstören. "An die Existenzen von Frauen, die deswegen Jobs nicht bekommen oder verlieren, denkt keiner." Inzwischen könnten sich aber "patriarchale Gestalten" nicht mehr sicher sein, dass die Opfer von sexuellen Übergriffigkeiten schweigen. Ein Ende des Schweigens fordert auch Petra Unger, "Frauen, redet darüber", und darüber hinaus, "Männer, denkt über euer Verhalten nach". (Beate Hausbichler, 25.10.2017)