Im Zuge des digitalen Wandels büßte Österreichs Druckbranche in den vergangenen 15 Jahren die Hälfte ihrer Unternehmen und Arbeitsplätze ein.

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Wien – Er hat 428 Seiten und ist mehr als 100 Jahre alt. Für die einen ist er ein unerträgliches Flickwerk an historischen Privilegien, Ergänzungen und Sonderrechten. Für die anderen ist er ein hart erkämpfter Schutz der Mitarbeiter – in einer Branche, die seit zehn Jahren von Krisen gebeutelt wird.

Der Kollektivvertrag der Drucker lässt seit mehr als einem Jahr Emotionen der Sozialpartner hochgehen. Anfang dieser Woche versuchten sie eine Annäherung, weitere Gespräche sollen folgen. Entschärft hat sich der Konflikt jedoch nicht.

"Um sich in den Vertrag richtig einzulesen, braucht es ein Bachelor-Studium", seufzt Armin Kreiner. "Über Jahrzehnte gewachsen, spiegelt er nicht mehr die Realität der technologischen Entwicklung wider." Kreiner führt mit seinem Bruder in Kärnten in vierter Generation eine gleichnamige Druckerei.

Fallen und Widersprüche

Er ist einer von vielen Unternehmern, die nicht mehr dazu bereit sind, sich den alten Regeln zu fügen. Zu viele Fallen und Widersprüche lauerten im KV, warnt er. Er mache die Arbeitgeber angreifbar, noch mehr seit das novellierte Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz in Kraft sei.

"Drucker kämpfen gegen das Internet, gegen Osteuropa und China, wo Österreich den Großteil der Schulbücher drucken lässt", sagt Kreiner. Die Kosten seien nicht in den Griff zu bekommen. Noch weniger, wenn etwa der Zuschlag für Nachtarbeit bereits ab 19 Uhr vorgeschrieben sei, eine Minute, die an der Stechuhr überzogen werde, als eine Viertelstunde Arbeitszeit gelte, und Tage wie der 24. und 31. Dezember voll als Freizeit ausbezahlt werden müssten.

"Ich verstehe ja, wenn sich die Gewerkschaft damit schwertut, aber der alte KV ist ein abgeschnittener Zopf", sagt Kreiner. "Ich bin aber durchaus bereit, einen neuen zu verhandeln."

Zahlreiche Einzelverträge

Gut 14 Monate ist es her, dass der Verband Druck & Medientechnik aus allen KV-Verhandlungen ausstieg. Seit Mitte Juni herrscht vertragsloser Zustand.

Zahlreiche Unternehmer stellten Neueinsteiger seither über Einzelverträge zu erheblich schlechteren Bedingungen an, klagt Gewerkschafter Karl Dürtscher. Auch bestehende Mitarbeiter seien mit weniger Sonderzahlungen, späteren Schutzzulagen und längerer Arbeitszeit konfrontiert worden. "Betriebe schaffen sich Wettbewerbsvorteile auf dem Rücken ihrer Beschäftigten – und auf Kosten anderer Firmen."

Dürtscher verlangt, dass ehestmöglich ein neuer KV in Angriff genommen wird, um "den schwarzen Schafen" Einhalt zu gebieten. Mehr Modernität des Vertrags verstehe sich dabei von selbst, "er ist schließlich ein lebendes Werk" – die Anpassung dürfe jedoch nicht zulasten der Beschäftigten gehen.

"Keine Kinder in Kohlebergwerk"

Neuer Verhandlungspartner ist die Wirtschaftskammer. Und diese bedingt sich Zeit aus. "Wir bemühen uns um eine Lösung, wollen dabei aber nicht über die Köpfe unserer Mitglieder hinweg entscheiden", sagt Ingeborg Dockner, Obfrau des Fachverbands der Drucker der Wirtschaftskammer und Chefin der gleichnamigen Druckerei in Kuffern. Für 1. Dezember ist eine Sitzung auf Bundesebene geplant. Einen Tag zuvor treffen sich die Wiener Arbeitgeber.

Karl Herzberger, Geschäftsführer des Verbands, sieht keinen Anlass, die Sache eskalieren zu lassen. "Es geht hier um keine Kinder in einem Kohlebergwerk, die im Finsteren arbeiten. Wir sind ja nicht im 19. Jahrhundert." Im Übrigen seien in jüngsten Einzelverträgen der Drucker auch Mehrleistungen für Mitarbeiter vereinbart worden. "Ausgewogenheit erkenne ich keine", sagt Dürtscher.

Im Zuge des digitalen Wandels büßte Österreichs Druckbranche in den vergangenen 15 Jahren die Hälfte ihrer Unternehmen und Arbeitsplätze ein. Die Zahl an Betrieben sank von 870 auf 500. Die Zahl an Mitarbeitern brach von 17.800 auf 8.600 Mitarbeiter ein, rechnet Dockner vor. Viele der Beschäftigten, die ihren Job verloren, engagieren sich nun als Druckvermittler, erzählt Kreiner. "Das wurde zu einem boomenden Beruf." Dass der Kahlschlag unter den produzierenden Betrieben beendet ist, glaubt er nicht. (Verena Kainrath, 25.10.2017)