Bild nicht mehr verfügbar.

Mohammed bin Salman, Kronprinz von Saudi-Arabien, verkündete am Dienstag die "Rückkehr" zu einem gemäßigten Islam im Königreich.

Foto: REUTERS/Hamad I Mohammed

Riad/Wien – Der Kronprinz von Saudi-Arabien, Mohammed bin Salman, verkündet apodiktisch die "Rückkehr" zu einem gemäßigten Islam im Königreich: eine Botschaft, die von einer hochbezahlten PR-Maschinerie rasch auf der ganzen Welt verbreitet wird. Es ist natürlich alles andere als ein Zufall, dass die Ansage von MbS, wie er oft genannt wird, im Rahmen einer aufwendig gestylten Veranstaltung geschieht, mit der eine künftige wirtschaftliche "Megacity" namens Neom beworben werden soll.

Die Modernisierung und Öffnung der saudischen Wirtschaft ist nicht zu verkaufen, wenn man nicht auch das Image der saudischen Gesellschaft ändert. Mohammed bin Salmans große Reformpläne – eher vage formuliert in der "Vision 2030" – können nicht abheben, solange jeder saudische Offizielle, jeder Wirtschaftsvertreter erst einmal auf die Rückständigkeit in Saudi-Arabien angesprochen wird. Als "wahhabitisch" wird das Königreich beschrieben, dessen soziale Regeln beim westlichen Beobachter "Mittelalter"-Assoziationen hervorrufen.

Zwei Familien machen einen Staat

Zur Erläuterung: Der Wahhabismus – keine Eigen-, sondern eine Fremdbezeichnung – ist der lokale strenge Salafismus Saudi-Arabiens. Er hat den Namen von einem fundamentalistischen Prediger des 18. Jahrhunderts, Mohammed Ibn Abdulwahhab, der sich damals mit der Familie Saud verbündete. Saudi-Arabien, das ist eine Kreation dieser beiden Familien. Die Nachkommen Abdulwahhabs stellen auch heute noch wichtige Figuren im religiösen Establishment Saudi-Arabiens: Der aktuelle Großmufti Abdulaziz Ibn Abdullah Al Sheikh (74) gehört dazu. Der blinde Scheich ist, um es harmlos auszudrücken, sehr sehr streng.

Mit dem nicht so kleinen Sektor der saudi-arabischen Gesellschaft, den dieser Großmufti vertritt, legt sich MbS nun an. Im Westen nimmt man immer nur die liberale Dissidenz gegen das Regime zur Kenntnis, und nicht, dass es noch viel konservativere Kreise gibt. Der Kronprinz geht einen riskanten Weg – allerdings weiß er einen wirklich großen Teil der Bürger und Bürgerinnen hinter sich, viele davon im Ausland ausgebildet, übrigens mit einem großen Stipendienprogramm, das man als Vorläufer dieser Öffnungspolitik sehen kann. MbS hat recht, wenn er sagt, die Menschen wollen "normal" leben. Sie wollen zum Beispiel ins Konzert und ins Kino gehen – etwas, das der Großmufti erst zu Beginn des Jahres wieder als unislamisch und verdorben bezeichnet hat. Dennoch wird nun eine Unterhaltungsindustrie gestartet.

Das Schwellenjahr 1979

MbS macht das ganz geschickt, wenn er von einer "Rückkehr" zum früher üblichen Islam in Saudi-Arabien spricht, auch wenn das natürlich eine Vereinfachung ist: Radikale Elemente – etwa der Hass auf die Schiiten – hat der Wahhabismus immer enthalten. Aber an der Behauptung des Kronprinzen, dass es früher anders gewesen sei, ist auch etwas Wahres: Nach 1979 – dem Jahr der Islamischen Revolution im Iran und der Besetzung der großen Moschee in Mekka durch eine Sekte – wurden in Saudi-Arabien tatsächlich die islamischen Daumenschrauben angedreht. Das Regime war unter Druck zu beweisen, dass es sozusagen das islamischste aller islamischen ist. Die Revolution im Iran war eine große Inspiration für alle islamistischen Gruppen, denen man in vielen arabischen Ländern durch eine "Reislamisierung" das Wasser abzugraben versuchte.

Auch die Aufhebung des Autofahrverbots für Frauen wurde im entsprechenden Dekret des Königs als "eigentlich ohnehin immer schon die islamische Lehrmeinung zu diesem Thema" verkauft. Die Geistlichen, die anderes gepredigt haben, und ihre Anhänger müssen sich arrangieren.

Nicht verwechseln darf man Mohammed bin Salmans Modernisierungspolitik mit Demokratisierung. Wer in Saudi-Arabien das Wort "Monarchie" mit dem Wunsch "konstitutionell" versieht, wird weiter im Gefängnis landen. Auch die Hardliner, denen der neue Kurs nicht passt, werden mit einer härteren Gangart rechnen müssen. In den vergangenen Wochen wurden in Saudi-Arabien mehr Personen verhaftet als je zuvor.

Alle Fäden in der Hand

Mohammed bin Salman ist 32, Kronprinz, Verteidigungsminister, Lieblingssohn seines kranken Vaters, König Salmans, dessen Hof er kontrolliert. Alle Fäden – auch in der Wirtschaft, auch die Sicherheitsagenden – laufen bei MbS zusammen. Er ist in der eigenen Familie nicht unumstritten, zu offensichtlich ist sein Hang zur Macht (so hat er den ursprünglichen Kronprinzen Mohammed bin Nayef im Juni ausgebootet). Im Jemen hat er sich in einen Krieg eingemischt, der teuer und nicht zu gewinnen ist und wegen der humanitären Katastrophe schlechte Schlagzeilen für Saudi-Arabien bringt. Die Krise mit Katar hat er planlos eskaliert, weil er – fälschlicherweise – dachte, die USA stünden in dieser Sache hundertprozentig hinter ihm.

Der niedrige Ölpreis – Resultat einer bewussten saudischen Politik – bringt das Königreich in Schwierigkeiten, denn die Ausgaben werden nicht geringer: Nicht nur müssen die saudischen Untertanen davon überzeugt werden, dass MbS das Beste ist, was ihnen passieren kann, sondern Saudi-Arabien muss auch viel Geld für seine regionalen Klienten ausgeben: vom Sudan, der dem Iran quasi abgekauft wurde und sich wieder den Arabern zugewandt hat, bis zum geplanten Wiederaufbau in Osten Syriens. Auch seine aktuell präsentierten wirtschaftlichen Pläne, die Jordanien und Ägypten einbeziehen, werden nur funktionieren, wenn Geld in diese Länder fließt, die es dringend brauchen. Aber eigentlich hat Saudi-Arabien dieses Geld gar nicht mehr. MbS fährt eine Hochrisikopolitik. (Gudrun Harrer, 25.10.2017)