Nicht Regierungschefin, sondern Präsidentin will Meral Akşener werden. Am Mittwoch gründete sie die "Gute Partei".

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Ankara/Athen – Alles wird gut. Seit Mittwoch hat die Türkei eine neue Partei, die nichts weniger als Friede, Freude, Eierschmarrn verspricht. Die Nationalistin und Erdoğan-Kritikerin Meral Akşener hat in Ankara mit 200 Gefolgsleuten die "Gute Partei" oder "İyi Parti" gegründet, wobei "iyi" im Türkischen mehr als nur "gut" bedeuten kann. "Richtig" oder "gesund" ist ebenfalls "iyi" – und das Gegenprogramm zur Herrschaft von Staats- und Parteichef Tayyip Erdoğan, wie die populäre Akşener in ihrer Rede beim Gründungsparteitag immer wieder klarmachte: "Die Türkei ist müde, die Nation ist müde, die öffentliche Ordnung zerstört."

"Die Türkei wird gut sein", heißt dafür der Slogan der neuen Partei. Eine Sonne ist ihr Symbol. Der Parteiname war erst am Morgen enthüllt worden. Die neue Twitter-Adresse @iyipartiorgtr hatte am Mittwoch bereits mehr als 10.000 Follower.

Neue Parteienlandschaft

Akşener war im vergangenen Jahr aus ihrer Partei, der rechtsnationalistischen MHP, ausgeschlossen worden, nachdem sie Parteichef Devlet Bahçeli herausgefordert und die Führungsfrage gestellt hatte. Einen Sonderparteitag der Dissidenten unter Akşeners Führung annullierte die türkische Justiz jedoch. Seither wurde die Gründung einer neuen Nationalistenpartei erwartet. Akşener könnte die politischen Verhältnisse in der Türkei auf den Kopf stellen.

"Wenn es kein Recht gibt, wird der Staat zerstört", rief die Nationalistin unter tosendem Beifall ihrer Anhänger beim Gründungsparteitag. "Der Staatsglaube ist die Gerechtigkeit", erklärte Akşener und distanzierte sich damit von der Islamisierung der Türkei durch die seit 15 Jahren regierende konservativ-religiöse AKP. Der postmoderne Führerstaat könne nicht fortdauern, sagte sie auch; damit meinte sie das autoritäre Regime vom "Chef der Nation", wie sich İsmet İnönü, der Nachfolger des Republikgründers Atatürk, in den 1940er-Jahren nennen ließ und das heute unter Erdoğan wiedererstanden sei.

Große Gefolgschaft

Akşener hatte beim Verfassungsreferendum im April für das Nein zu Erdoğans Präsidialsystem geworben. Ein großer Teil der rechtsnationalistischen Wählerschaft folgte ihr. Das trug entscheidend zu dem knappen Ergebnis von 51,4 Prozent für den Verfassungswechsel bei. Viele Wähler der MHP unterstützen nicht die Kehrtwende des Parteivorsitzenden Bahçeli, der seit dem Putschversuch im Sommer 2016 und der Verhängung des Ausnahmezustands Staatschef Erdoğan unterstützt.

Die türkischen Wahlforscher gaben Akşener noch vor der Gründung der neuen Partei bereits um die 14 Prozent, bei Anrechnung des Anteils der unentschlossenen Wähler etwa 23 Prozent. Die Gute Partei würde damit drittstärkste Kraft hinter der regierenden AKP und den Sozialdemokraten der CHP sein. Die MHP hingegen scheint zerstört. Sie bliebe weit unter der Zehnprozenthürde für den Einzug ins Parlament. Akşener dürfte sowohl Stimmen von MHP-Wählern erhalten als auch von enttäuschten Erdoğan-Anhängern und nationalistisch gesinnten CHP-Wählern. Die Gute Partei soll anders als die MHP zu rechten Mitte rücken, ganz nach dem Vorbild der konservativen säkularen Regierungsparteien der 1980er- und 1990er-Jahre. Akşener war damals auch für kurze Zeit Innenministerin.

Präsidentschaftskandidatur

Die Konsequenzen könnten erheblich sein. "Başbakan Akşener!", riefen die Delegierten beim Gründungsparteitag in Ankara. Die künftige Parteichefin korrigierte sie sogleich: Nicht Regierungschefin, sondern Präsidentin – "Cumhurbaşkan" – werde sie sein, erwiderte Akşener. Die 61-Jährige kündigte damit schon ihre Kandidatur bei der Präsidentenwahl an, die spätestens im Herbst 2019 stattfinden wird. Politischen Beobachtern gilt sie als größte Herausforderin für Amtsinhaber Erdoğan.

Je nach Stimmanteil und Zahl der Parteien könnte Akşeners Gute Partei bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl auch Erdoğans AKP die absolute Mehrheit zum Regieren rauben. Ihre Basis auf dem Land könnte Erdoğan auch bei den Kommunalwahlen gefährlich werden. Seit Monaten schon laufen in den Provinzen Politiker von der MHP in Scharen zu Akşener über.

Kurden ausgeklammert

In ihrer Rede vor den Delegierten in einem Kongresssaal in Ankara – es war ironischerweise das Nazîm-Hikmet-Kulturzentrum, so benannt nach dem linken, im Moskauer Exil verstorbenen türkischen Dichter – versprach Akşener die Rückkehr zum parlamentarischen System, den Kampf gegen die Korruption und eine bessere Bildungspolitik. In einem vorläufigen Parteiprogramm, das in türkischen Medien zirkulierte, war auch von einer Halbierung der Zehnprozenthürde für das Parlament die Rede. Der Begriff "Kurden" tauchte nicht auf. Im Programm der Nationalisten ist nur von einer "Ost- und Südostfrage" in der Türkei die Rede. (Markus Bernath, 25.10.2017)