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Fats Domino war mit seinen stampfenden Rhythmen aus New Orleans ein Pionier des Rock 'n' Roll. Ein schüchterner Revolutionär, dem gutes Essen wichtiger als der US-Präsident war.

Foto: AP

Domino auf einem Archivbild aus dem Jahr 1956, in dem er mit "Blueberry Hill" seinen größten Hit feierte.

Wien – Noch bevor exaltierte Stars wie Little Richard, Jerry Lee Lewis, Chuck Berry und Elvis Presley den Rock 'n' Roll über die Welt brachten, hatte einer ihnen schon den Weg gewiesen: Fats Domino.

Antoine "Fats" Domino verkaufte bereits Platten im siebenstelligen Bereich, bevor Elvis 1954 seine erste Single veröffentlichte. Doch Dominos Wesen passte nicht zu seiner wild stampfenden und in die Glieder fahrenden Musik. Dominos Karriere begleiteten keine Skandale, keine Tragödien oder Dramen. Er war höflich und schüchtern, er wollte seine Ruhe.

Frühe Fotografien zeigen einen freundlich lächelnden Afroamerikaner mit Flat-Top-Frisur im gestärkten Anzug. Die steife Körperhaltung unterstrich sein Unwohlsein vor der Kamera. Doch wenn er mit von dicken Goldringen gespreizten Fingern in die Tasten griff, verwandelte er sich in ein Energiebündel, dessen Silberblick beim Singen eine Ekstase erahnen ließ, die sein Publikum längst erfasst hatte. Am vergangenen Mittwoch ist Fats Domino gestorben.

Oliver Klozoph

Noch bevor der Mainstream das Phänomen Rock’n’Roll wahrnahm, bespielte Domino mit seiner Band Säle von New York bis Los Angeles. Mit wildem Rhythm’n’Blues aus New Orleans sorgte er regelmäßig für verwüstete Hallen, einmal musste er sich gar per Sprung aus dem Fenster in Sicherheit bringen.

Doch schon damals war er am liebsten zu Hause, unten in Louisiana. Dort schmeckte das Essen am besten, da waren Frau und seine 13 Kinder. Da waren seine Nachbarn, neben denen er bis ins hohe Alter wohnte, die nicht komisch schauten, wenn er nachmittags im Pyjama und mit Haarnetz durch den Garten lustwandelte. Fats Domino wurde eine Symbolfigur der Stadt und ihrer afrikanischen Traditionen.

Lebenslange Partner

Geboren wurde er am 26. Februar 1928. Als er zehn Jahre alt war, kaufte die Familie ein Stehpiano. Damit war sein Weg vorgezeichnet. Bald spielte er in Hinterzimmern, Clubs und bei Barbecues. Mit 20 nahm ihn Billy Diamond in seine Big Band auf. Der rief ihn Fats, weil er ihn an die Jazzpianisten Fats Waller und Fats Pichon erinnerte, der Name blieb ihm.

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1949 traf Domino den Musiker Dave Bartholomew. Der war Talentescout für das Label Imperial Records in New Orleans und nahm mit ihm seinen Song The Fat Man auf, Dominos ersten Hit und einen der ersten Rock-'n'-Roll-Songs der Geschichte. Mit Bartholomew hatte Domino das große Los gezogen.

Er war es, der den zurückhaltenden Pianisten forderte, er brachte jenen Ehrgeiz in die Partnerschaft, der Domino fehlte. Es sollte, trotz Verstimmungen, eine lebenslange Freundschaft werden. Gemeinsam bildeten sie eine Macht, die Musikgeschichte schrieb. Mit Songs wie Ain't That a Shame, Blue Monday, I'm Walking, Titeln wie Walking to New Orleans, Whole Lotta Loving und Blueberry Hill, Dominos größtem Hit.

Kulturelles Neuland

Zu der Zeit veränderte das Radio die Kultur Amerikas. Seine Signale überwanden Rassenschranken und infiltrierten das weiße Amerika mit schwarzer Musik, mit Klängen, die Hinterwäldler im Süden des Landes spielten und aufnahmen. Dominos Off-Beat-Rhythmen lieferten einen der Blueprints für den jamaikanischen Ska, und in seiner großen Besetzung, mit Bläsersatz und elektrischer Gitarre sowie dem Alltag von New Orleans entnommenen Themen, betrat Domino Neuland.

Er wurde, ohne es zu merken, zu einer der Personen, an denen sich der wichtigste gesellschaftliche Aufbruch in den USA des 20. Jahrhunderts festmachen ließ: die Emanzipation der Jugend, die in den 1960ern mit der Bürgerrechtsbewegung eine historische Veränderung brachte.

Auf den billigen Plätzen

Doch noch war es nicht so weit. Zwar spielte Domino in zwei früh dem Rock 'n' Roll huldigenden Filmen mit (The Girl Can't Help It und Shake, Rattle & Rock!), doch er musste sie auf den billigen Plätzen der Schwarzen im Kino ansehen, zu den Premieren war er nicht einmal eingeladen.

Stéphane Lenoir

Ungeachtet dessen verkaufte er allein bis 1962 über 60 Millionen Platten. Sein Einfluss war immens. Von Elvis bis zu den Beatles beriefen sich viele auf Dominos Musik. Elvis sagte in einem berühmten Interview für das vornehmlich von Afroamerikanern gelesene Magazin Jet: "Rock‘n‘Roll gab es schon lange vor mir. Niemand singt so gut wie die Farbigen. Seien wir ehrlich. Ich singe nicht annähernd so gut wie Fats Domino, das ist mir klar."

Dominos Musik wurde Anfang der 1960er zwar von einer neuen Generation abgelöst, unter seinem Regiment verlor sie aber nie an Lebendigkeit. 65 Jahre stand er auf der Bühne, bearbeitete sein Klavier und sang das Lied von "Josephine" oder versprach in "Let The Four Winds Blow", dass seine Liebe die Größte sei.

Küche statt Weißes Haus

In den 1980ern beschloss er, nicht mehr auf Tour zu gehen. Bequemlichkeit statt Rock‘n‘Roll. Selten brach er diese Regel, sogar eine Einladung ins Weiße Haus schlug er aus. Lieber kochte er, spielte Karten oder Pool-Billard und schlief draußen im Garten in der Hängematte. Hin und wieder konnte man ihn sehen, wenn er mit einem alten rosaroten Cadillac durch die Straßen fuhr und Touristen auf ihn reagierten wie auf eine Gotteserscheinung.

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Als der Wirbelsturm Katrina 2005 New Orleans verwüstete, war Domino mehrere Tage verschollen, galt als tot. "RIP Fats. You will be missed", wurde auf sein Haus gesprayt. Doch er tauchte wieder auf. Überlebt hatte er die Katastrophe in einer Notunterkunft, die Nachricht seiner Wiederkehr gab vielen Menschen in New Orleans Hoffnung.

Doch Katrina hatte Dominos Herz gebrochen, hatte sein New Orleans zerstört. Nun ist diese Symbolfigur des Big Easy gestorben. Fats Domino wurde 89 Jahre alt. (Karl Fluch, 25.10.2017)