Regierungschef Carles Puigdemont ist gegen Neuwahlen in Katalanien.

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Nichts war klar und alles offen nach einem langen Tag in Barcelona. Gegen Mittag tauchten erstmals Gerüchte auf, Carles Puigdemont, Chef der katalanischen Regierung, werde Neuwahlen ausrufen, um so zu verhindern, dass Madrid via Verfassungsartikel 155 Zwangsmaßnahmen gegen die Autonomie erlasse. Er werde in Kürze vor die Presse treten und dies bekanntgeben.

Nach mehreren Vertagungen war es um 17.00 Uhr so weit – und dann das: Er habe tatsächlich erwogen, Wahlen auszurufen, sei aber zum Schluss gekommen, dies nicht zu tun, erklärte Puigdemont zum Erstaunen aller. "Meine Pflicht, war es, alles zu versuchen", aber er habe keinerlei Garantien erhalten, dass dies die Anwendung des Verfassungsartikels 155 ausgesetzt hätte.

"Ich habe keine verantwortungsbewusste Antwort des PP erhalten", warf er dem Partido Popular (PP) von Premier Mariano Rajoy vor. Dieser hatte tatsächlich angekündigt, auch im Falle von Neuwahlen an der Intervention in Kataloniens Institutionen festzuhalten. "Jetzt liegt es am katalanischen Parlament, durchzuführen, was die Mehrheit beschließt", fügte er hinzu.

Die Zib 20 am Donnerstag berichtet über die Entwicklungen in Katalonien.
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Lange Plenarsitzung

Die Plenarsitzung in Barcelona begann kurz danach und sollte mindestens bis heute, Freitag, Nachmittag andauern. Die Entscheidung kann, falls sich eine Mehrheit findet, auch die Unabhängigkeit sein. Niemand könne sagen, dass er nicht zu Opfern bereit gewesen sei, entschuldigte Puigdemont das Hin und Her.

Die Erleichterung auf dem Platz vor dem Regierungssitz in Barcelona war deutlich zu spüren. Dort hatten sich tausende Studenten und Schüler versammelt. Bis zu Puigdemonts Rede waren immer wieder Rufe wie "Verräter" zu hören. Nach seiner Ansprache wurden weitere Proteste abgesagt.

Puigdemont unter Druck

Der katalanische Regierungschef war in den letzten Tagen immer stärker unter Druck derer geraten, die eine einseitige Unabhängigkeitserklärung ablehnen. Neben Vertretern der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Unternehmern, wurden auch immer mehr Stimmen aus den Reihen seiner Partei PDeCat laut. Sie stellt innerhalb Puigdemonts Wahlbündnisses für die Unabhängigkeit "Gemeinsam für das Ja" (JxSí) den moderaten Flügel. Selbst Regierungsmitglieder wollten zum Schluss von einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung nichts mehr wissen. Doch die Befürworter der katalanischen Republik haben sich wohl einmal mehr durchgesetzt.

Laut Presseberichten hatte der baskische nationalistische Ministerpräsident Iñigo Urkullu seinen katalanischen Kollegen zu Wahlen bewegen wollen. Urkullu verhandelte wohl im Hintergrund mit Madrid, damit im Fall von Neuwahlen die Zwangsmaßnahmen ausgesetzt würden.

Vergebens: "Wir müssen Katalonien retten, so sehr seine Regierenden uns Ungesetzliches aufzwingen wollen", sagte die Vize-Ministerpräsidentin Spaniens, Soraya Sáenz de Santamaría, kurz nach Puigdemonts Auftritt im Senat, der über die Anwendung des 155 berät. Sáenz de Santamaría fordert den Senat auf, "für die Demokratie zu arbeiten, damit sich alle Katalanen wieder untereinander zusammenfinden können. Sie forderte den Senat auf, am Freitag für die Aussetzung der Autonomie in Katalonien mithilfe des Verfassungsartikels 155 zu stimmen.

André Gil, Sprecher der Sozialisten im Senat, sicherte der Regierung in Madrid volle Unterstützung zu und richtete sich an Puig demont: "Wir fordern Sie auf, Wahlen auszurufen, um ein Desaster zu verhindern." Im Falle von katalanischen Neuwahlen werde sich der PSOE für eine Aussetzung des Artikels 155 starkmachen. Premier Mariano Rajoy braucht die Sozialisten nicht: Seine PP hat im Senat die absolute Mehrheit. Und die rechtsliberalen Ciudadanos (C‘s) verlangen ebenfalls weiterhin eine Intervention. (Reiner Wandler aus Barcelona, 26.10.2017)