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Foto: REUTERS/Erik De Castro

In Frankreich nennt man sie "les revenants", zu Deutsch "Rückkehrer". Niemand weiß, wie zahlreich sie wirklich sind. Der französische Geheimdienst DGSE schätzt, dass in den vergangenen Jahren 1.800 Franzosen in den Jihad in Syrien und Irak gezogen sind. Deren 265 sollen dort laut einem neuen Bericht umgekommen sein.

Mehrere Hundert könnten versucht sein, in nächster Zeit nach Frankreich zurückzukehren. Darunter sind Reumütige wie Bilel X. (ein Tarnname, Anm.), ein 27-jähriger Familienvater. Bilel floh mit seiner Familie in die Türkei, wo er seither in Haft sitzt. Seine Frau und die drei Kinder – darunter ein im Krieg geborener Säugling – reisten in ihre Heimat zurück. Sie wurden am Pariser Flughafen von der Polizei in Empfang genommen und in "geeignete Institutionen" gebracht, wie es heißt.

Neues Antiterrorgesetz

Die Franzosen hatten den Fall der IS-Hochburg Raqqa zuerst erleichtert aufgenommen, nachdem von dort aus offenbar auch die Bataclan-Anschläge von Ende 2015 gesteuert worden waren. Nun wächst die Sorge vor den Rückkehrern. Generalstabschef Jean-Pierre Bosser erklärte vor wenigen Tagen: "Wir prüfen sehr genau, wie diese Leute agieren, und auch der Geheimdienst nimmt sie sehr genau ins Visier."

Verteidigungsministerin Florence Parly sagte in einer Radiosendung auf die Frage, was mit den französischen Jihadisten geschehen solle, unverblümt: "Wenn einzelne in den Kämpfen dort umkommen, dann ist das umso besser." Damit gab die französische Ministerin ein sehr verbreitetes Volksempfinden wieder.

Schon bei der Befreiung von Mossul hatte der irakische General Abdel Ghani Al-Assadi der Zeitschrift "Paris Match" erklärt: "Wir haben die stillschweigende Vereinbarung mit Paris, dass kein französischer Jihadist die Stadt lebend verlassen soll."

Razzien und Hausarrest

In Frankreich gibt es hörbare Kritik an der Aufhebung des 2015 ausgerufenen Ausnahmezustandes auf den 1. November hin: Das neue Antiterrorgesetz, das an seine Stelle tritt, ermächtigt die Polizei allerdings auch, Moscheen zu schließen, Razzien vorzunehmen oder Hausarrest auszusprechen.

Nachdem die französischen Abwehrdienste seit Jahresbeginn nach eigenen Angaben ein Dutzend versuchte Attentate vereitelt haben, steht den Franzosen der Sinn nicht nach Milde für die "revenants". Zu frisch sind noch die Bilder und Videos von den Enthauptungen durch IS-Schergen, die teils Französisch sprachen.

Justizvollzieher schildern die Zurückgekehrten zwar nicht unbedingt als handlungsbereite Killertypen, sondern eher als desillusioniert. Doch die Behörden wollen keine Risiken eingehen – auch nicht mit den zurückgekehrten Frauen von Jihadisten. Der Anwalt Martin Pradel, der einige davon vertritt, plädiert vergeblich: "Sie sind alle freiwillig nach Syrien gereist. Dort haben sie aber rasch gemerkt, in welche Falle sie geraten waren."

Die Zahl der französischen Minderjährigen im Jihad wird vom Geheimdienst auf mehrere Hundert geschätzt. Viele wurden trainiert, bewaffnet, gar für mediatisierte Exekutionen eingesetzt. Staatsanwalt François Molins spricht wenig präzis von der Notwendigkeit eines "erzieherischen Ansatzes".

"Indoktrinierte Kinder"

Auch in Berlin warnt der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen: "Wir sehen die Gefahr, dass Kinder von Jihadisten islamistisch sozialisiert und entsprechend indoktriniert aus Kampfgebieten nach Deutschland zurückkehren. Damit könnte auch hier eine neue Jihadistengeneration herangezogen werden."

Drei der fünf Anschläge in Deutschland in den vergangenen Jahren wurden von Minderjährigen verübt: eine Messerattacke einer 15-Jährigen auf einen Polizisten in Hannover, ein Bombenanschlag auf einen Gebetsraum der Sikh in Essen. Ein Zwölfjähriger scheiterte mit einem Bombenanschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen.

Der deutsche Verfassungsschutz geht davon aus, dass fünf Prozent der 950 aus Deutschland Richtung Syrien und Irak ausgereisten Islamisten minderjährig sind, 20 Prozent sollen Frauen sein. Ein Drittel davon ist zurückgekehrt, die Zahl der gewaltbereiten Islamisten beziffert Deutschland mit derzeit 1.870 Personen. Im Falle einer Verurteilung drohen den Betroffenen mehrjährige Haftstrafen.

Ausbildung im Terrorcamp

Die längste bisher – elf Jahre – erhielt Harun P., ein Sohn afghanischer Einwanderer. Er hatte gestanden, in einem islamistischen Terrorcamp ausgebildet worden zu sein und beim Sturm von Terroristen auf das Zentralgefängnis von Aleppo eine Mörsergranate abgefeuert zu haben. Laut Bundesanwaltschaft starben dabei sieben Menschen. Der 27-Jährige wurde vom Oberlandesgericht München wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und versuchten Mordes verurteilt.

Nach Großbritannien sind bisher, wie die Londoner "Times" meldete, 425 von 850 ausgereisten Jihadisten zurückgekehrt. Spätestens seit dem Fall von Raqqa beginnt auch hier die Debatte, wie man mit den Heimkehrern des "Islamischen Staates" umgehen soll. Politiker wie Medien forderten volle Härte gegen Heimkehrer. Die "Times" schlug sogar vor, das Gesetz über Landesverrat aus dem Jahr 1351 anzuwenden, das Briten bestraft, die dem Feind innerhalb oder außerhalb des Landes helfen.

Erniedrigte Kämpfer

Als Max Hill – ein von der Regierung bestellter, unabhängiger Gutachter der Antiterrorgesetzgebung – vorschlug, naive, womöglich einer Gehirnwäsche unterzogene IS-Kämpfer nicht gerichtlich zu verfolgen, sondern wieder in die Gesellschaft einzugliedern, führte das zu einem Aufschrei. Dabei scheint ihm manche Zeugenaussage recht zu geben: Der Deutsch-Tunesier Ebrahim H. B., der vom Oberlandesgericht Celle wegen Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe zu drei Jahren Haft verurteilt worden ist, schilderte im Prozess, warum er sich dem IS anschloss: 2014 habe die Familie seiner Verlobten die Hochzeit platzen lassen: "Ich fühlte mich dadurch total erniedrigt. Ich wollte einfach nur noch weg." (Birgit Baumann, Stefan Brändle, Jochen Wittmann, 27.10.2017)