Andrea Maria Dusl, "Wien wirklich!", € 24,90 / 192 Seiten. Metro-Verlag, 2017

Foto: Metro

Paul Chaim Eisenberg, "Auf das Leben!". € 19,90 / 144 Seiten. Brandstätter-Verlag, 2017

Foto: Brandstätter

Wer hätte gedacht, dass "die Ursache allen Übels" nicht nur als Floskel existiert? Sie hieß einst Heinrich Franz Graf von Bombelles und war Erzieher des Kaisers Franz Joseph, in dieser Funktion also mitverantwortlich für die Entwicklung des Imperators zum "Bürokratengott und Genre-Stifter des Bureau-Potentatentums".

Wer hätte weiters gewusst, dass sich das vermeintliche Ur-Wiener-Wort "Fiaker", die Bezeichnung für die heimischen Pferdegespanne, aus dem Französischen ableitet? Zweispännige Mietkutschen wurden in Paris "voiture de St. Fiacre" oder einfach "Fiacre" genannt, weil sie ihren Hauptstandplatz vor dem Hotel gleichen Namens hatten.

Und wie oft schimpfen wir jemanden "Bonze!" und meinen damit "Sektionsschakls" und "Arbeitskreisschoitls", die sich in Wien schnell zu "Apparatschiks!" auswachsen können und sich bei "bonzinischem Talent" auch als "Bezirkskaiser" eignen. Die wenigsten wissen aber, dass sich das Wort aus dem Japanischen ableitet, wo "bozu" einen buddhistischen Priester bezeichnet.

"Dame des Hauses"

Sollte das Wienerische je in Gefahr geraten auszusterben, könne man es aus den Stimmbändern der letzten noch lebenden "Zeuglkutscher" rekonstruieren, schreibt Andrea Maria Dusl einmal in ihrem amüsanten und informativen Buch Wien wirklich! Von Amtsperson bis Würstelmann. Oder man schlägt in ihrem angehenden Standardwerk nach.

Allein das Kapitel "Bim", also Wienerisch für "Elektrische" oder "Straßenbahn", breitet Dusl über viele Seiten aus, mit allerlei schönen Informationen wie jener, dass die "Glockentrotteln" (Straßenbahnfahrer, die möglicherweise im "Orientexpress" unterwegs sind, wie die Linie 9 auch heißt) ihre Bus fahrenden Kollegen "Isolierte" nennen. Weil deren Räder nämlich auf Gummi laufen und nicht an der elektrischen Oberleitung saugen.

Die Bezeichnung "Dame des Hauses" wiederum geht auf eine Salonnière namens Pauline von Metternich zurück, die wegen ihres losen Mundwerkes auch Mauline genannt wurde. Das Dilemma der Zugehörigkeit zur höheren Gesellschaft, so Dusl sachkundig, hätte Dichterfürst H. C. Artmann, selbst Vorstadtliterat, in seinem Schauspiel Erlaubent, Schas, sehr heiß bitte sehr schön zusammengefasst: "Fürstin sein, das wäre fein, Fürstin kann nicht jede sein."

Würstelmann

Von "der Dame" leitet Dusl ihre Exkurse zu den Wiener Bobos ab. Sie nimmt dabei einen Umweg zur "Frau Doktor", die sich auf den Tanzschulen des Landes um die Verheiratung mit keinesfalls einem "Negeranten", sondern eher mit einem "Bürgerlichen" kümmert. Mit solchen, wie sie neuerdings den selbstgewissen ÖVPlern zulaufen, die auf Bällen ihre Geschäfte abwickeln und über die "Neidgenossenschaft" klagen. Die nunmehrige Gemahlin hat dann bereits gelernt, die Goschn zu halten und nur das zu sagen, was der Gatte ihr erlaubt: "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut." Ausgesprochen informativ ist natürlich auch das Kapitel über den Würstelmann (oder "Flaksnbondscha", also Würstelbrater) sowie die von ihm dargereichten Köstlichkeiten inklusive Beilagen: "Die Öliche" oder "Die Grüne Mamba" sehen aus wie längliche Pfefferoni und sind auch solche. Vier Seiten Literaturnachweise belegen, wie sehr sich Dusl in ihre Materie vertieft hat – mit beeindruckendem Ergebnis: Piefkes, Drangler, Sozialpartner, Kasperl und Pezi, Krethi und Plethi oder "Die Grünin" kommen ebenso noch vor wie "Der Krocha" oder "Der Gschupfte", sie werden mit sprachlicher Eleganz und fundiertem Wissen erklärt, natürlich jeweils mit Zeichnungen der Falter-Illustratorin. Große Freude.

Oberrabbinerfernsehen

Von seinem Vorgänger Otto Herz bekam Wiens Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg einst eine goldene Brille geschenkt, weil er damit "intelligenter" aussehen würde. Er vertrat in der Folge seine Glaubensgemeinschaft jahrzehntelang nach außen, auch im ORF, wo er eine eigene Sendung Shalom bekam. "Manche Leute haben den ORF mit Oberrabbinerfernsehen gedeutete", schreibt er in seinem Buch Auf das Leben!.

Darin erklärt er das Wesen der jüdischen Mutter, die sich umbringen würde, wenn der Sohnemann den Strudel nicht äße (während die italienische Mutter den Sohnemann umbringen würde, wenn er die Spaghetti nicht schätzte), und erkundet das Wesen seiner Glaubensgemeinschaft. In Wien leben heute weniger als 10.000 Juden, sie haben zehn Synagogen, meist im ersten und zweiten Bezirk. Wir erfahren, dass Männer und Frauen dort nicht nebeneinandersitzen, aber trotzdem getratscht wird wie in einer "Judenschul". In diesen Synagogen werden fixe Plätze "gekauft", und Frauen sitzen gern so, dass sie ihre Männer nicht sehen müssen. Dazu viele jüdische Witze, meist harmlos, und weise Gedanken eines Mannes, der auch schon mal dem Dalai Lama einen Korb gegeben hat, weil er wusste, was "Prioritäten" sind.

"Ein Mensch wird dann erwachsen, wenn er nicht mehr auf sich selbst und seine Vorteile schaut, sondern wenn er die Leiden anderer Menschen sieht", heißt es an einer Stelle.

Das Buch sollte von vielen Menschen gelesen werden, die noch sehr unerwachsen sind, von solchen, die auf Wiener Bällen tanzen und dort ihre Gemahlinnen die Goschn halten lassen. (Manfred Rebhandl, 29.10.2017)