Wolfsburg – Das Ausmaß der Abgas-Manipulationen war Volkswagen nach einem Bericht von "Spiegel Online" früher bekannt als bislang gedacht. Bereits am 20. September 2015 hätten Techniker auf einer Krisensitzung in Wolfsburg darauf hingewiesen, dass die Schummel-Software nicht nur in einigen hunderttausend, sondern weltweit in Millionen Fahrzeugen im Einsatz sei.

Am darauffolgenden Tag habe der Autobauer zunächst Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt über die Dimension von "Dieselgate" informiert. Öffentlich eingeräumt hatte VW das Ausmaß der Manipulationen am Dienstag, dem 22. September. Die Aktien des Konzern verloren an diesen beiden Tagen rund ein Drittel ihres Wertes.

Publizitätspflichten eingehalten

Das Verkehrsministerium war am Freitag für eine Stellungnahme zu dem "Spiegel Online"-Bericht nicht erreichbar. VW betonte, seine Publizitätspflichten ordnungsgemäß erfüllt zu haben.

Wie das Unternehmen am Freitag mitteilte, hat Volkswagen in den ersten neun Monaten des Jahres trotz zusätzlicher Milliardenkosten für Rückruf und Nachrüstung manipulierter Dieselautos in den USA mehr verdient. Der Nettogewinn stieg in dem Zeitraum um über 30 Prozent auf 7,7 Milliarden Euro (6,6 Milliarden Euro).

Im laufenden Geschäft kletterte das Ergebnis – vor Sondereinflüssen – von 11,3 auf 13,2 Milliarden Euro. Besondere Effekte eingerechnet, gab es immerhin ein Plus von 8,6 auf 10,6 Milliarden Euro. Der Umsatz stieg um 6,8 Prozent auf 170,8 Milliarden Euro.

Im dritten Quartal musste VW wegen der ausgeweiteten Diesel-Rückstellungen allerdings einen Gewinneinbruch hinnehmen: Der in dieser Periode verbuchte Nettoertrag rutschte im Jahresvergleich um über die Hälfte auf 1,14 Milliarden Euro ab. Ende September hatte der Konzern bekanntgegeben, dass Verzögerungen bei dem ohnehin schon kostspieligen Programm noch einmal viel Geld kosten – den Betrag bezifferte man nun auf 2,6 Milliarden Euro. Damit steigt die Rechnung für die Bewältigung der Abgaskrise auf über 25 Milliarden Euro.

Dank des insgesamt guten Laufs bei den Marken peilt der Konzern ein höheres Ergebnis im Gesamtjahr an. Auch dabei werden allerdings Sondereinflüsse herausgerechnet.

Ergebnisse liegen über Erwartungen

Der um Sondereinflüsse bereinigte Betriebsgewinn kletterte im dritten Quartal überraschend deutlich um 15 Prozent auf 4,3 Milliarden Euro. Abzüglich weiterer Rückstellungen für den Dieselskandal in den USA halbierte sich das operative Ergebnis fast auf 1,72 Milliarden Euro. Auch hier hatten Experten weniger erwartet. Der Quartalsumsatz erhöhte sich um rund 6 Prozent auf 55 Milliarden Euro.

Bei der operativen Rendite erwartet der weltgrößte Autobauer nun, dass die bisher für 2017 in Aussicht gestellte Spanne von 6,0 bis 7,0 Prozent "moderat" übertroffen wird. Mehrere Analysten hatten bereits mit einer Prognoseerhöhung gerechnet, da Volkswagen schon zur Jahresmitte über dieser Spanne gelegen hatte. Den Ausblick für den Umsatz bekräftigte das Management um Konzernchef Matthias Müller. Demnach sollen die Erlöse heuer um mehr vier Prozent zulegen.

"Ausreichendes Finanzpolster"

In den ersten neun Monaten kletterte der Betriebsgewinn vor Sondereinflüsse um 17 Prozent auf 13,2 Milliarden Euro. "Das ist ein starkes Fundament, auf das wir aufbauen können", betonte Finanzchef Frank Witter. Mit einer Nettoliquidität von mehr als 25 Milliarden Euro im Kerngeschäft habe Volkswagen zudem ein ausreichendes Finanzpolster.

Das ist auch nötig, denn ein Ende von "Dieselgate" ist noch nicht absehbar. Auch gut zwei Jahre nach Bekanntwerden der Manipulation von Abgaswerten musste Volkswagen seine Rückstellungen aufstocken, weil die Nachrüstung und der Rückruf der betroffenen rund 500.000 Fahrzeuge mit 2,0-Liter-Dieselmotor stocken.

Woran es in den USA im Einzelnen hakt, ist bisher nicht bekannt. Volkswagen hat bisher lediglich mitgeteilt, dass die Umsetzung des Rückkauf- und Nachrüstprogramms zur Entschädigung der Autobesitzer der betroffenen 2,0-Liter Fahrzeuge erheblich langwieriger und technisch anspruchsvoller sei als erwartet. Analysten vermuten, dass der Konzern den Wert Tausender Fahrzeuge, die auf Sonderparkplätzen abgestellt sind, abschreiben musste.

Rückstellungen belaufen sich auf auf 25 Milliarden Euro

Volkswagen hatte im vergangenen Jahr mit Anwälten und US-Behörden einen Milliarden-Kompromiss ausgehandelt, der die Reparatur und den Rückkauf von betroffenen Fahrzeuge sowie Entschädigungen vorsieht. Einschließlich Strafen und Investitionen in die Elektromobilität, die Volkswagen als Teil der Wiedergutmachung in den USA zusagen musste, beliefen sich die Rückstellungen bisher auf 25,1 Milliarden Euro. Davon hat VW allein heuer 14,5 Milliarden Euro ausgegeben. (APA, Reuters, 27.10.2017)