Training für die Weltmeisterschaften in Aserbaidschan: Ruth Kaaserer porträtiert in "Gwendolyn" die Gewichtheberin Gwendolyn Leick. Bilder von Schinderei braucht sie dafür nicht.

Foto: Viennale

Die 65-jährige pensionierte Anthropologin und aktive Gewichtheberin Gwendolyn Leick gewann bei internationalen Meisterschaften zahlreiche Titel. Doch mehr als alles andere ist Gwendolyn eine Meisterin der Haltung, der Contenance. Biografische Hinweise auf ihre Genese zum, wie sie selbst sagt, stoischen Indianer oder spartanischen Krieger liefert die Protagonistin ganz am Ende des Films. Im Rahmen einer Lecture Performance, die Kindheitserinnerungen reaktiviert, findet sich eingangs auch eine Passage aus einem Gedicht von Gertrude Stein: "If can in countenance to countenance a countenance as in as seen ..."

Soleil Film

"Gwen" ist gebürtige Österreicherin, Mitte der 1970er ging sie nach London, um ihre Dissertation über babylonische Flüche zu schreiben, erst im Alter von 52 Jahren fing sie mit dem Gewichtheben an. Während sich Gwendolyn mit ihrem langjährigen Coach Pat auf die europäischen Meisterschaften in Aserbaidschan vorbereitet, bewältigt sie mit der üblichen Selbstbeherrschung – "that's just how it is" – eine halbseitige Gesichtslähmung und nach einer schweren Krebserkrankung die inzwischen dritte Operation.

Nach dem Boxerinnenporträt Tough Cookies (2014) begibt sich die Filmemachern Ruth Kaaserer erneut in ein Sportmilieu, das wenig mit der dominanten (und maskulinen) Kultur von Kraftarbeit, Schinderei und Schweiß zu tun hat. Behutsamere Szenen hat man wohl selten in einem Gym gesehen. Die Atmosphäre ist ruhig, konzentriert und freundlich – Trainer Pat kommentiert Gwendolyns Übungen mit einem liebenswürdigen "lovely". Und wenn die beiden auf dem Weg zur Meisterschaft im Wartebereich des Flughafens in ihre Literaturzeitschriften vertieft zu sehen sind, scheinen Intellektualität und Athletik endgültig miteinander versöhnt.

Geradlinige Aufmerksamkeit

Kaaserer macht sich die unaufgeregte Haltung ihrer Protagonistin ganz zu eigen, auch ihr Porträt strahlt eine für sich einnehmende "countenance" aus. So werden Training, Wettkampf und Alltagsleben – Arztbesuche, das Zusammensein mit dem afrikanischen Ehemann Charlie, Gespräche mit ihrem Sohn, Besuch vom Enkelkind etc. – mit derselben geradlinigen Aufmerksamkeit beachtet.

Gwendolyn nimmt sich Zeit zu schauen und zuzuhören – Zeit auch dafür, das leicht schiefe Gesicht dieser tollen Frau zu studieren, ihren federleichten Körper, der ebenso einer grazilen Tänzerin gehören könnte. Die feministische Agenda muss der Film dabei nicht extra unterstreichen, sie ist in der Figur Gwendolyn eh immer präsent, in ihren Buchprojekten, ihrem Selbstverständnis, bestehende Erzählungen – etwa die des narzisstischen Sportlers – mit großer Gelassenheit einfach zu überschreiben. In einem Gespräch, das den Umgang mit eigenen Texten zum Gegenstand hat, findet es Widerhall: "Rewriting is like taking out stiches." (Esther Buss, 29.10.2017)