Während der Körper schläft, ist der Geist hellwach: Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor erforschen in "Somniloquies" die Hautlandschaften eines Träumers.

Foto: Viennale

"Ich habe Sie erwartet. Kommen Sie rein. Aber Vorsicht! Kopf runter. Es ist winzig hier. Ich habe gesagt, dass ich Ihnen ein Interview geben werde, und es bleibt dabei. Willkommen in Zwergenstadt." Das ist der verbale Auftakt von Somniloquies, wenige Minuten nachdem die Kamera begonnen hat, über eine schwer dechiffrierbare Landschaft zu wandern.

Dion McGregor (1922-1994), der so freundlich zum Interview nach Midget City einlädt, war ein US-amerikanischer Songwriter. Aber er wäre wohl vergessen, hätte er uns nur seine Musik hinterlassen. McGregor ist mit einem anderen Talent in Erinnerung geblieben: Er sprach im Schlaf, so klar und deutlich, dass ein Mitbewohner begann, Tonaufnahmen zu machen. 1964 erschienen eine erste LP und ein Buch mit den Traumtranskripten.

Rätselraten über Wale

Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor, die prominentesten Vertreter des Sensory Ethnography Lab (SEL), haben seine bizarren Somniloquies fürs Kino neu montiert. Opake Bilder zeigen nackte, schlafende Körper in bewusst gesetzter Unschärfe, während die Soundspur das wundersame Hypnoid des Schläfers ausbreitet: sexuelle Nötigung durch Riesen, Begegnungen mit Tieren ("Anything goes on the Fuck-Wagon"), Lautmalereien, Flehen, Angst, Wut, Räselraten über Wale.

Die unter dem Label des SEL organisierten Filmemacher stellen die etablierten Produktionstechniken von dokumentarischem Kino, ethnografischer Forschung und wissenschaftlicher Repräsentation infrage. Sujets waren in der Vergangenheit die gespannten Beziehungen zwischen Schafherden, Hirtenhunden und Schäfern (Sweetgrass), aber auch die Welt eines Fischtrawlers, der in den Gewässern von Melvilles Moby Dick unterwegs war (Leviathan).

Verschwimmen und Spekulieren

In Somniloquies verschwimmen Traum, Realität und Kino ineinander, so wie die Identitäten der Körper, die Geschlechter, die Hautfarben und Altersstufen auf der Bettstatt verschmelzen. Die Kamera ist so nahe an diesen Hautlandschaften, dass man als Zuschauer oft nur spekulieren kann, in welche Zone des Leibes man gerade versunken ist: Ohr, Mund, Vagina, Armbeuge, Bauch, Brust, Penis oder Nasenloch?

Nicht immer ist die Arbeit des SEL so amüsant wie hier. Als jüngstes Projekt haben Paravel und Castaing-Taylor Canibe vorgestellt, das Porträt eines japanischen Mannes, der 1981 in Frankreich eine Sprachstudentin erschossen, zerstückelt und in Teilen verzehrt hatte – und nach kurzer Unterbringung in der französischen Psychiatrie in seine Heimat zurückkehren konnte, wo er die Tat in verschiedenen Genres für eine Underground-Öffentlichkeit popularisierte. Canibe spielt in einer realen Albtraumwelt, die Somniloquies manchmal nur fantasiert. (Robert Weixlbaumer, 30.10.2017)