Je länger sich die Kamera auf die Pflanzen richtet, umso mehr Leben erwächst ihnen.

Foto: Viennale

Das Elend jener Erobererflotte, mit der der spanische Konquistador Álvar Núnez Cabeza de Vaca 1528 in Florida landete, war so groß, dass selbst die Ureinwohner Mitleid mit den wenigen Überlebenden der Schiffbrüche und Hungersnöte befiehl und sie diese koexistieren ließen. Aus Cabeza de Vaca wurde ein Händler und Schamane, der sich den Indios anverwandelte und so neun Jahre lang durch das alte Neuspanien zog, von Florida bis Mexico City.

David Fenster

Mit de Vacas denkwürdiger Biografie setzte sich bereits Nicolás Echevarrías Film Die Abenteuer des Cabeza de Vaca (1991) auseinander. Auf ganz eigene Weise geht US-Regisseur David Fenster nun auf dessen Persönlichkeit ein. In einem ruhigen Essayfilm forscht er entlang des Weges, den de Vaca in Amerika zurückgelegt hat, nach dem Geist des ungewöhnlichen Eroberers.

Dabei implantiert er, neben diversen Gesprächspartnern, die dunkle Stimme von de Vacos Geist selbst, der – so weit die naturphilosophische Prämisse – in den Kaktusbäumen der Gegend weiter wohnt. Die titelgebende Opuntia (Kaktusart) galt den Azteken als wertvolle Pflanze und ziert bis heute die Flagge Mexikos.

Nichts verschwindet ganz

Der kosmologischen Theorie folgend, dass alles fließt ("panta rhei"), Menschen und Dinge einem steten Formen- und Stoffwechsel ausgesetzt sind, folglich auch der Tod nur eine Schwelle in eine andere Daseinsform darstellt, spricht da Vacas Geist zu uns (der Text folgt dem Reisebericht Naufragios, den er hinterlassen hat). Einfach gesagt: Nichts verschwindet jemals zur Gänze, und so bleiben auch Spuren von Cabeza de Vaca bis heute auffindbar.

David Fenster findet sie in örtlichen Museen (Waffen, Geschirr, Medizin), als Denkmäler in diversen texanischen Orten wie Presidio, Marfa oder Redford, oder in Gesprächen mit Bewohnern, etwa einem Priester, in dessen Kirche Gemälde der Christianisierung märchenhaft verklärend einen bunten Fries bilden. Ein anderer Bewohner sucht die Gegend mit Wünschelruten ab. Sie alle sprechen ohne ausgewiesene Namen und ohne offizielle Funktionen, nicht im dokumentarischen Auftrag, sondern als persönliche, klandestine Stimmen, die dem Abenteurer nachhorchen.

Cabeza de Vaca hat sich, wie auch viele Indios, zu einem Großteil von den Früchten der Kakteen ernährt. Ihr wertvoller roter Farbextrakt war überdies Teil der Tributzahlungen, die die Azteken an die Spanier zu leisten gezwungen waren. Ihr Symbolgehalt ist also hoch. Den Eroberergeist (mit langen Kameraeinstellungen) in den oft blütenschweren, prächtigen Pflanzen zu verorten ist eine politisch wie poetisch raffinierte, animistische Idee.

Bereits im Kurzfilm Fly Amanita hat Fenster mit dem Monolog eines Fliegenpilzes die Tür zur Welt einer beseelten Umwelt aufgestoßen. Es sind Stimmen, die wir sonst nicht hören. (Margarete Affenzeller, 28.10.2017)