"Wenn der Fang gut ist, dann deshalb, weil der Fischer ein guter Fischer ist. Wenn der Fang schlecht ist, liegt es an der Schnur."

Foto: Getty Images / iStock / spacedrone808

An der Seilerbahn stellt Joan Llodrá seit gut 40 Jahren Unikate von Schnüren, Tauen oder Leinen für Bootseigner her.

Foto: Helge Sobik

Manche Dinge tut man nicht gern und schiebt sie vor sich her, weil es Wichtigeres gibt als lästige Laufereien: Seile herzustellen zum Beispiel. Oder mit Kunden zu scherzen, Lösungen für vertrackte Probleme zu diskutieren, zu fachsimpeln.

Aber irgendwann kommt man nicht mehr drum herum, dann muss man doch zum Finanzamt. Joan Llodrá ging es so. Neulich war der 68-jährige Mallorquiner dort und lernte seine neue Sachbearbeiterin kennen. Als sie sich gegenübersaßen, schaute sie nur kurz auf, atmete kräftig durch die Nase ein und brüllte: "Feuer, Feuer!"

Er konnte die Frau schnell beruhigen. Nicht das Finanzamt stünde in Flammen. Es sei bloß er, dessen Kleidung und Haut so angebrannt rieche. So ist das nun mal, wenn man sein Leben lang als Cordelero, als Seiler, arbeitet, Taue in Handarbeit fertigt und der Kunde sich wünscht, dass Faser für Faser mit Teer imprägniert wird. "Das riecht verbrannt, aber ich merke das längst nicht mehr." Er greift sich an die Nase und muss lachen, wenn er die Geschichte erzählt.

Llodrá gilt als der letzte Seiler der Balearen und macht den Job in einer dunklen Halle am Rand von Mallorcas zweitgrößter Stadt Manacor seit fast 40 Jahren. Er ist in die Cordeleria seines Schwiegervaters eingestiegen und heute der Chef: "Ich habe damals seine Tochter Barbara Montserrate geheiratet – und den Betrieb." Er zwinkert vergnügt. Scheint so, als hätte er beides bis heute nicht bereut. Seine Werkstatt ist ein Geheimtipp unter allen, die ein Boot festmachen, ein Segel hissen oder Netze einholen müssen.

Nie dieselbe Leine

Zu Llodrá kommen Leute, die nichts von der Stange haben wollen. Viele Fischer sind darunter, die in jedem Seil einen Metallkern haben wollen. Andere bestellen fünf Trossen und lassen diese zu einem noch dickeren Tau verdrehen. "Jeder Fischer will es anders", erzählt er. Jeder hat eine andere Idee, keiner nimmt dieselbe Leine wie der Liegeplatznachbar.

Natürlich hängen Länge und Dicke von der Stärke des Fischkutters ab. Mehr noch weichen die Macharten der Taue, die das Schleppnetz halten, voneinander ab: "Es soll nicht schwimmen, aber auch nicht untergehen. Am besten schwebt es im Wasser. Wir drehen dafür Metallfäden ein." Neuerdings schauen auch Skipper aus Mallorcas Sportboothäfen bei Llodrá in der Seilerei Montserrate vorbei, weil sie ungewöhnliche Dicken, seltene Materialien oder Farbkombinationen bevorzugen, die industriell nicht herzustellen sind.

Wie aus der Frühzeit

Seit fast 70 Jahren gibt es die kleine Fabrik nun schon, und die neueste Maschine, die Llodrá angeschafft hat, ist ein Faxgerät. Ansonsten tut es noch immer die Geschäftsausstattung des Schwiegervaters: vor allem ein seltsames Eisenkonstrukt wie aus der Frühzeit der Industrialisierung.

Es befindet sich am Anfang der sogenannten Seilerbahn, dort sind Spindeln eingehängt, die blitzschnell gewechselt werden müssen, wann immer das Material auf der Rolle zur Neige geht. Diese Litzen laufen in unterschiedlichen Spuren, werden durch ein Metallgehäuse hindurch enger zusammengeführt, mit Eisenstiften je nach Bedarf auseinandergehalten und mit der Kraft eines Motors verdrillt.

So etwas wie eine kleine Lokomotive sorgt als Gegengewicht dafür, dass alles stramm bleibt. Auf Schienen fährt sie bis zu 150 Meter weit aus der Halle in den Hof hinaus. Müssen dicke Stränge verdreht werden, ist zusätzlich menschliche Kraft vonnöten.

"Es liegt an der Schnur"

Bezahlt wird bei Llodrá nach Gewicht, launige Bemerkungen der Kunden sind Alltag: "Wenn der Fang gut ist, dann deshalb, weil der Fischer ein guter Fischer ist. Wenn der Fang schlecht ist, liegt es an der Schnur." Bei den Seglern sei das ähnlich: "Wenn alles hält, der Törn reibungslos klappt und viel Spaß macht, dann wegen des Skippers. Geht etwas schief, liegt es an der Schnur am Segeltuch."

Ob er seine Seile wiedererkennt, wenn er an Booten vorbeispaziert? "Si" sagt er und spricht das Wort aus, als wäre es mit einem Dutzend "i" geschrieben. "Meine erkenne ich immer. Sie sind anders, speziell, solide." Und manchmal, das sagt er aus Bescheidenheit nicht selber, sind sie sogar kleine Kunstwerke in Rot und Weiß mit einem dünnen blauen Faden oder ganz traditionell aus Sisal statt aus Kunststoff gefertigt. Nur an Bord gehen und mitfahren, die Seile im Einsatz erleben – das mag er nicht: "Mir wird schlecht auf dem Wasser, ich gehöre an Land."

Wann er mal rauskommt aus seiner dunklen Halle? "Mittags zur Siesta. Und immer dann, wenn ein Seil länger als 20 Meter wird und die kleine Lokomotive aus der Halle fährt. Also eigentlich andauernd." Er sagt es wie einer, der seiner harten Arbeit in all den Jahren nie überdrüssig geworden ist.

Schwiegersohn Jaume Mateu assistiert ihm in letzter Zeit häufiger – als erster und einziger Mitarbeiter. Llodrá freut sich über diese Hilfe, ohne zu wissen, ob Jaume sein Geschäft einmal übernehmen und als neuer letzter Seiler von Mallorca weitermachen will. (Helge Sobik, 31.10.2017)