Gegner der katalanischen Unabhängigkeit am Sonntag in Barcelona.

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Nach der Entmachtung der katalanischen Separatisten durch die spanische Regierung in Madrid ist es in der Region wider Erwarten ruhig geblieben. Die befürchteten Proteste gegen die Absetzung der Regierung von Carles Puigdemont blieben am Samstag zunächst aus. Die Amtsgeschäfte Puigdemonts übernahm am Samstag offiziell Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy.

Einer Umfrage der spanischen Tageszeitung "El Pais" zufolge will die Mehrheit der Katalanen Neuwahlen, um wieder zur politischen und gesellschaftlichen Normalität zurückzukehren.

Laut der repräsentativen Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Metroscopia sprachen sich bereits vor den von der spanischen Zentralregierung am Freitag angekündigten Neuwahlen in Katalonien 53 Prozent der Befragten ebenfalls dafür aus. Sogar ein Drittel der Unterstützer von Kataloniens separatistischem, von Madrid mittlerweile abgesetztem Ministerpräsidenten Carles Puigdemont sind dafür. 43 Prozent lehnten Wahlen zur Lösung des derzeitigen Konflikts ab.

In der Nacht auf Samstag hatten tausende Befürworter der Unabhängigkeit bis zwei Uhr früh auf der Plaça Sant Jaume im Herzen Barcelonas gefeiert – vor dem Sitz der Regierung, der Generalitat, ihre "Katalanische Republik", die das Autonomieparlament am Freitag um 15.27 Uhr beschlossen hatte.

Doch noch während Musik und Tanz auch in vielen Provinzstädten das Bild bestimmte, holte der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy in Madrid zum Gegenschlag aus. Und der Konservative hatte einen Trumpf im Ärmel: Nach einer Sondersitzung seines Kabinetts gab er bekannt, dass er, mit dem Verfassungsartikel 155 in der Hand, das katalanische Autonomieparlament auflösen und Neuwahlen für den 21. Dezember ansetzen werde.

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In Katalonien wurde die Unabhängigkeit gefeiert.
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Am falschen Fuß erwischt

Dies erwischt die Unabhängigkeitsbewegung auf dem falschen Fuß. Denn Puigdemonts Bündnis "Gemeinsam für das Ja" (JxSí), die antikapitalistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP) sowie die beiden großen Organisationen der Unabhängigkeitsbewegung, die Katalanische Nationalversammlung (ANC) und Òmnium hatten auf eine längere Kampagne des "zivilen Ungehorsams" gegen die Intervention der Autonomieverwaltung Madrids gesetzt.

Ein unmittelbarer Wahlkampf bedeutet einen völligen Wechsel in der Strategie. Noch am Freitagabend begannen bei Parteien und Organisationen Krisensitzungen, um die neue Lage zu analysieren.

In Madrid gehen Menschen für ein geeintes Spanien auf die Straße.
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Puigdemonts Rede

Außerdem kündigte Rajoy an, was alle erwartet hatten: Er enthob den katalanische Regierungschef Carles Puigdemont, dessen gesamte Regierung sowie um die 150 hohe Vertreter der Autonomieverwaltung des Amtes, darunter auch den Chef der katalanischen Polizei Mossos d‘Esquadra. Puigdemont hat die Fortsetzung der Unabhängigkeitsbestrebungen verkündet. In einer TV-Rede rief er am Samstag in Barcelona die Bürger der Region zum friedlichen Widerstand gegen die von Madrid auf Basis der spanischen Verfassung beschlossenen Zwangsmaßnahmen und zur "Gründung eines freien Landes" auf.

"Unser Wille ist es, weiter zu arbeiten, auch in Kenntnis der aktuellen Schwierigkeiten", sagte Puigdemont. In den spanischen Medien wurde die Rede so interpretiert, dass er der Amtsenthebung nicht Folge leisten wolle.

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Carles Puigdemont will ein "freies Land" gründen.
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Vize-Premier wird Regierungschefin

Indessen werden die Ministerien in Madrid die Verwaltung der nordostspanischen Region übernehmen, und Rajoys Vize, Soraya Sáenz de Santamaría, wird bis zu den Neuwahlen Regierungschefin Kataloniens. All das geschieht auf Grundlage des Artikels 155. Rajoy hat dazu die Unterstützung des Senat, eingeholt. Sein Partido Popular (PP) wird dabei von der sozialistischen PSOE und den Rechtsliberalen von Ciudadanos (C‘s) unterstützt.

Kurz nach der Absetzung der beiden Chefs der katalanischen Polizeieinheit Mossos d'Esquadra hat die Zentralregierung einen ranghohen Polizeikommissar mit deren Führung beauftragt. Zum Nachfolger von Polizeichef Josep Lluis Trapero wurde Ferran Lopez ernannt, teilte das Innenministerium am Samstag mit.

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Katalanische Polizeibeamte wurden angehalten, neutral zu sein.
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Völlige Unklarheit

Angesichts der Neuwahlen ist nichts ist klar; weder wie noch wer beim Unabhängigkeitslager kandidiert. Bei JxSí und bei der CUP werden Stimmen laut, die von Madrid angesetzten Wahlen zu boykottieren. Das wäre "für die Unabhängigkeitsbewegung letal", warnt seit Tagen der Vorgänger Puigdemonts, Artur Mas. Selbst wenn nur die radikale CUP den Urnengang boykottiert, wäre dies wohl das Ende der Parlamentsmehrheit für die Unabhängigkeit.

ORF-Korrespondent Josef Manola über den Konflikt.
ORF

Verfahren wegen "Rebellion"

Und es stellt sich die Frage nach den Kandidaten. Denn vielen Politikern aus dem Unabhängigkeitslager droht ein Verfahren wegen "Rebellion", allen voran Regierungschef Puigdemont, dessen Stellvertreter Oriol Junqueras, allen Ministern und dem Präsidium des katalanischen Parlaments.

Die spanische Generalstaatsanwaltschaft will dies am Montag einleiten. Begründung: Die Betroffenen haben "die Unabhängigkeit eines Teils des nationalen Territoriums" erklärt und versucht, "die Verfassung teilweise oder ganz abzuschaffen, zu suspendieren oder zu verändern". Auf solche Vergehen stehen bis zu 30 Jahre Haft. Verhaftung und Untersuchungshaft sind nicht auszuschließen. An eine Kandidatur der Betroffenen wäre dann nicht zu denken.

Vielen Politikern aus dem Unabhängigkeitslager droht ein Verfahren wegen "Rebellion".
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Problematische Verfolgung

Die Staatsanwaltschaft würde gerne alle Abgeordneten verfolgen, die für die Unabhängigkeit gestimmt haben. Doch das wird wohl nicht möglich sein. Die Abstimmung war geheim. JxSí und CUP stellen zusammen 72 Volksvertreter, aber nur 70 stimmten zu. Zwei gaben einen leeren Stimmzettel ab. Damit ist nicht mehr auszumachen, wer wie gestimmt hat.

Die Lage ist angespannt. In der Nacht auf Samstag zogen hunderte Rechtsradikale mit spanischen Fahnen durch Barcelona. Sie begrüßten die Beamten der spanische Nationalpolizei mit Handschlag und griffen unter deren Augen das Gebäude des öffentlichen Rundfunks Catalunya Radio an. Es kam zu mindestens drei Verletzten. (Reiner Wandler aus Barcelona, dpa, APA, 28.10.2017)