Bild nicht mehr verfügbar.

Der türkische Energieminister Berat Albayrak.

Foto: Reuters / ALEXANDROS AVRAMIDIS

Ohne an der Uhr zu drehen, wechselte die Türkei am Sonntag wieder von der Osteuropäischen Zeitzone zur Arabischen Standardzeit. Denn anders als die Europäer macht das konservativ-islamische Land die Rückkehr zur Normalzeit seit dem vergangenen Jahr nicht mehr mit. Greenwich plus drei Stunden heißt die Formel. Istanbul tickt dann wie Mekka.

Den unerwarteten Einspruch des Obersten Verwaltungsgerichts im Vormonat hat Energieminister Berat Albayrak, der Schwiegersohn des Präsidenten, schnell weggewischt: "Wir machen weiter."

Eltern klagten vor Gericht

Geklagt hatten die Eltern eines Schulkindes in Istanbul. Denn weil in der Türkei nun auch im Winter die Sommerzeit gilt, müssen Kinder vor allem im Westteil des Landes morgens noch in der Dunkelheit zur Schule. In Istanbul geht die Sonne im Dezember erst gegen halb neun Uhr auf. Ein großer Teil der Schüler in der Bosporusmetropole wird dabei über lange Strecken in Minibussen chauffiert. Ein finanziell sehr einträgliches, aber bereits tagsüber wegen der allgemeinen Fahrsitten nicht ungefährliches Unternehmen.

Im türkischen Teil Zyperns, das im vergangenen Jahr auf Ankaras Wunsch auch die Sommerzeit behielt, starben zwei Kinder, als sich ein Schulbus im morgendlichen Dunkel überschlug. Danach rebellierten die Eltern von Schulkindern gegen die ungeliebte Sommerzeit im Winter.

Neue Verordnung

Das Verwaltungsgericht in Ankara fand leicht eine Begründung, um die Beibehaltung der Sommerzeit vorläufig zu stoppen. Die türkische Regierung hatte im Vorjahr zwar beschlossen, die Uhr im Oktober nicht zurückzustellen. Im Text der Verordnung aber behielt sie einen alten Passus bei: Über die Dauer der Sommerzeit wird jedes Jahr neu entschieden, stand dort. Das hat die Regierung nun nachgeholt. Am Samstag veröffentlichte sie im Amtsblatt eine Verordnung, derzufolge die Sommerzeit bis 28. Oktober 2018 verlängert wird.

Der Wechsel von Sommer- und Winterzeit hat die AKP von Staatschef Tayyip Erdogan immer schon gestört. Eine Mode aus dem Westen sah sie darin, etwas "Untürkisches", das dem Land nicht angemessen wäre. Das ist nicht falsch: Ideal war die Osteuropäische Zeit für die Türkei nie. Festgelegt wird die EET durch den 30. Längengrad. Er läuft durch Izmit am Ende des Marmarameers, weit im Westen des Landes. Doch drei Viertel der Türkei liegen östlich von dieser Grenzmarke. Der astronomische Mittag oder die wahre Ortszeit sind in einem großen Teil des Landes also deutlich verschoben.

Ernergieersparnis umstritten

Die Beibehaltung der Sommerzeit begründet die türkische Regierung mit Einsparungen beim Energieverbrauch. 1,3 Milliarden Kilowattstunden weniger Strom seien zwischen Oktober 2016 und März dieses Jahres verbraucht worden, so gibt das Energieministerium an und stützt sich auf Berechnungen der Technischen Universität Istanbul. Der Verband der Elektroingenieure (EMO) in der Türkei hält das für baren Unsinn. Die Beibehaltung der Sommerzeit habe ganz im Gegenteil den Stromerzeugern einen enormen Profit verschafft, gibt der EMO an; sieben Milliarden Kilowattstunden mehr hätten die Verbraucher bezahlt.

Tatsächlich ist es morgens ohne Rückkehr zur Normalzeit eben eine Stunde länger dunkel. Aber auch zur Hauptabnahmezeit in den Privathaushalten zwischen 17 und 22 Uhr ist die Sonne im Winter natürlich weg.

Abkoppelung von Europa

Doch politisch zählt die Abkoppelung von Europa bei der Uhrzeit mindestens ebenso viel für die Regierung in Ankara. In derselben Zeitzone wie Mekka und der Golf zu leben, stellt die Frommen in der Türkei zufrieden. Und andererseits nimmt sich selbst der Schulgang im Dunkeln in den Wintermonaten nicht so absonderlich aus: Schulkindern in Wien oder Paris geht es auch nicht anders. Die Provinzgouverneure in der Türkei haben zudem nun die Unterrichtszeiten je nach geografischer Lage angepasst. So soll es in Istanbul im allgemeinen keinen Unterricht vor acht Uhr geben, in Ankara oder in Denizli an der Mittelmeerküste nicht vor 8.30 Uhr.

Im türkischen Teil Zyperns, der in den Augen der Nationalisten auf dem Festland schon als 82. Provinz der Türkei gilt, haben sich Mitte Oktober nach langem Streit doch die Normalzeit-Anhänger durchgesetzt. Der Nordteil der Insel macht vor allem wegen des Protests der Schülereltern nicht bei der ewigen Sommerzeit mit. Und den Zyprioten bleibt zumindest eine weitere Teilung in verschiedene Zeitzonen erspart. (Markus Bernath; 29.10.2017)