Foto: MG RTL D / Sid Gentle Films Ltd

So schnell kann's gehen. An einem Tag freut sich die Netflix-Kundin über den nahen Starttermin der fünften Staffel von "House of Cards" am 30. November, und noch bis vor kurzem war die Debatte der Stunde, ob es in der sechsten Staffel gelingen wird, der Schande Donald Trump durch den schändlichen Fernsehpräsidenten Frank Underwood eins draufzusetzen, und anderntags ist plötzlich alles aus und vorbei.

Nix da mit King Lear, der König hat abgedankt. Man ist geneigt, Konfuzius heranzuziehen, der da sagte: "Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten." Im Falle Kevin Spaceys wird es wohl dessen letzter Fehler im Filmbusiness gewesen sein.

Eher merkwürdig wirkte in dem Zusammenhang auch Spaceys Outing, zu dem er sich offenbar gezwungen fühlte. Kein schöner Anlass, keine gute Optik. Wie es weitergeht, liegt ja jetzt wohl auf der Hand: Claire Underwood first, und gut ist's.

Doch nun zur Kernaufgabe, welche diese Woche keine Kleinigkeit ist. Es ist kommt einiges auf uns Freunde des Fernsehens zu – festhalten, es geht los.

Freitag, 10. November: "Rellik", Amazon und "The Killer", Netflix

Lesen Sie ersteren Titel rückwärts und fühlen Sie sich als Schelm, wenn Sie da nicht an Zufälle glauben. "Rellik" erzählt in der BBC-Produktion eine Serienmörder-Geschichte rückwärts. Gabriel Markham (Richard Dormer) ist gezeichnet. Mit entstelltem Gesicht huldigt er zu Beginn in einer sehr verwaschenen Szene dem kleinen orangefarbenen Döschen, von dem er sich Erleichterung verspricht. Für uns eine wichtige Information, denn von hier an geht es tatsächlich im Erzählmodus rückwärts. Am Anfang kommt, was sonst am Ende eines Krimis steht. Das ergibt einige hübsche Umkehrungen und Aha-Erlebnisse. Im Fall von Richard Dormer, den wir als Beric Dondarrion aus "Game of Thrones" kennen, kam auch einiges an Filmschminke zum Einsatz. Indem die Uhr zurück- und vorgedreht wird, wird die Erzählstruktur durcheinandergewürfelt, zumindest in der ersten Folge wirkt das etwas sehr sprunghaft.

BBC

Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf, könnte Pistolero Diogo Morgado singen, er macht sich in die brasilianischen Badlands auf, um einen Superbanditen (Deto Montenegro) zu erlegen. Heiße Colts und dreckige Boots, zumindest im Trailer ist "The Killer", mit dem Netflix seinen ersten brasilianischen Film abliefert, ein Schaustück. Für Prie-View gab's dazu keine Preview.

Netflix

Viel wichtiger aber noch, Amazon startet seine Pilot Season. Zur Vergabe kommen dieses Mal: "Love You More" von Bridget Everett, Michael Patrick King, Bobcat Goldthwhait und Carolyn Strauss, "Sea Oak" nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von George Saunders mit Glenn Close in der Hauptrolle und "The Climb" von Schauspielerin und Autorin Diarra Kilpatrick. Ich tippe ins Blaue auf "Sea Oak" als Fixstarter.

Samstag, 11. November: Streetphilosophy, 23.40 Uhr, Arte
Neues Spiel, neues Glück – Ronja von Rönne ist wieder da, und das ist doch uneingeschränkt schön! Im August war sie neben Ingo Zamperoni als Gastgeberin der ARD-Wahltalkshow "Überzeugt uns!" zu sehen, jetzt konfrontiert sie abwechselnd mit Jona Bosslet in der dritten Staffel der Straßenphilosophie-Sendung Passantinnen und Passanten mit tiefgründigen Fragen der menschlichen Existenz. Zum Auftakt geht es um das Streben nach Macht und die Frage, ob das Leben besser wäre, wenn man mehr das Sagen hätte. Und es hat schon was, dass Ronja sich der Frage über Battle Rap nähert, um sich im nächsten Schritt mit dem allmächtigen Passamt zu konfrontieren, wo nur Unterwerfung und Rückzug möglich scheinen. Uneingeschränkt Ja sagen zur Machtfrage die wenigsten, und das ist auch beruhigend. Es gilt, was der heilige James Marshall Hendrix, seine Heiligkeit Jimi, gesagt hat: "Wenn die Macht der Liebe über die Liebe zur Macht siegt, wird die Welt Frieden finden."

Foto: Weltrecorder

Sonntag, 12. November: Springflut, ZDF
Woran erkennt man einen skandinavischen Krimi? Erstens: Finster ist's. Zweitens: Ein bestialischer Mord ist passiert. Im Fall von "Springflut" trifft beides zu. In einer sternenklaren Vollmondnacht wird eine hochschwangere Frau am Strand eingegraben. Sie ertrinkt, als die Springflut kommt. 25 Jahre später ist der Fall ungelöst, die Polizeischülerin Olivia Rönning (Julia Ragnarsson) stößt darauf und entdeckt zuerst, dass ihr Vater involviert war. Cilla und Rolf Börjlind zeichnen verantwortlich für einen Krimi-Fünfteiler, der sogar Henning Mankell das Fürchten gelehrt hätte.

Foto: ZDF/Niklas Maupoix

Montag, 13. November: Club der roten Bänder, 20.15 Uhr, Vox
Es war die erfreulichste Serieninnovation des Jahres 2015. Die kluge, bemerkenswert unsentimentale und genau deshalb ungeheuer ermutigende Story über krebskranke Teenager, die mit der Krankheit leben und gegen sie kämpfen, geht nach drei Staffel ihrem Ende zu. Die Geschichte lasse sich nicht endlos dehnen, sagt Produzentin Gerda Müller in "TV-Spielfilm". In Zeiten, in denen Sender mit dem zeitgerechten Beenden von Serien eher Schwierigkeiten haben, ist die Umsicht dieser Entscheidung gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Foto: Vox

Dienstag, 14. November: SS-GB, Sky
Die durchaus furchterregende Vorstellung, die Nationalsozialisten haben den Zweiten Weltkrieg gewonnen, deklinierte schon Philip K. Dick 1962 in "The Man in the High Castle", seit 2015 in der Science-Fiction-Serie von Amazon, durch. Hier sitzen die Nazis in Großbritannien, Winston Churchill ist tot. Die Handlung beginnt im November 1941. Die Luftschlacht um England ist von den Deutschen gewonnen. Die Widerstandsbewegung kämpft weiter. Sam Riley, Kate Bosworth spielen nach der Erzählung von Len Deighton. Lars Eidinger beweist einmal mehr sein Talent zum Unsympathler, Philipp Kadelbach ("Hindenburg", "Die Pilgerin") führte Regie. Vor gruseliger Kulisse (Hakenkreuz-Fahnen auf Londons Prachtbauten) bekommt es der Scotland-Yard-Detective Douglas Archer mit einem mysteriösen Toten zu tun. Man hat sich offenbar arrangiert.

BBC

Mittwoch, 15. November: Lobbyistin, 21.45 Uhr, ZDF neo
Vom Titel her klingt das sehr nach Christine Neubauer – ohne vorangestelltes "Die" (wahlweise und absolut austauschbar: Minensucherin, Pastorin, Landärztin oder – mein Favorit – Holzbaronin), aber "Lobbyistin" will anders sein. Am Anfang steht Rosalie Thomass nach Drehbuch und Regie von Sven Nagel das Wasser buchstäblich bis zum Hals, Bernhard Schir macht wieder den "Vorstadtweiber"-Macker und kommt auch gleich zur Sache: "Warum haben Frauen so wenig Selbstvertrauen?" Antwortet die Lobbyistin stellvertretend: "Weil ich auf der falschen Seite stehe." So ist das also. Es geht dann relativ zäh zur Sache, das Aushebeln in der Politik zieht sich in dieser Produktion. Sechs Folgen.

Kurz dazu noch eine Lanze für Christine Neubauer. Dass sie sich mittlerweile im durch Maria Furtwänglers Diversitätsstudie über stereotype Fauenbilder bestätigten Bereich befindet, wonach es für Schauspielerinnen ab 50 im Fernsehen hinsichtlich Rollenangeboten eher #NotMe heißt, ist eine Rückbesinnung der Brachialaktrice auf ihre komische Kernkompetenz zu beobachten. Schon in Franz Xaver Bogners "München 7" glänzt Neubauer als fuchtige Standlerin, in "Monis Grill" macht sie ebenso wenig schlechte Figur. Ihre Jugendsünden kann man Christine Neubauer nicht ganz verzeihen, Potenzial für die große Alterskomik möchte ich ihr aber zugestehen. Seien wir gnädig: Möge die Übung gelingen.

Foto: ZDF/Christoph Assmann

Mittwoch, 15. November: Das Versprechen, 20.15 Uhr, Arte
Am 30. März 1985 werden die Eltern von Elizabeth Haysom in ihrem Haus in Virginia (USA) ermordet. Der bestialische Doppelmord geht durch alle Medien. Angeklagt und verurteilt wird Jens Söring, Elizabeth' Freund und Sohn einer deutschen Diplomatenfamilie. Es geht um Kindesmissbrauch, Abhängigkeiten, Obsessionen, fatale Fehleinschätzungen und Medienhatz. Die Filmemacher Marcus Vetter und Karin Steinberger greifen den Fall neu auf und finden neue Beweise, die nie vor Gericht erwähnt oder für unzulässig erklärt wurden. Der verurteilte Mörder erinnert sich im Interview. True Crime aus Deutschland, akribisch aufgearbeitet, aufwühlend.

Die Trailer von ARTE

Donnerstag, 16. November: Im fremden Körper, 20.15 Uhr, Arte
Weiterer Beitrag des beliebten Science-Fiction-Themas "Menschen in dystopischen Umständen", und bei weitem nicht der schlechteste. Fünf Jahre lag der Familienvater Florian Bassot im Koma, in Zeiten der Superbeschleunigung nahezu eine Ewigkeit. Die Sache ist brenzlig, Florian ist ein illegal Transferierter, das heißt, sein Geist sitzt in einem fremden Körper. Dabei wurde allerdings grob gepfuscht, die Versuchskaninchen haben mit gröberen Abstoßungsreaktionen zu kämpfen. Die Versuche sind beendet, Florian gelingt die Flucht, alles droht aufzufliegen, Stoff genug für sechs pipifeine Folgen dieser französischen Science-Fiction-Serie von Claude Scasso, Patrick Benedek (Drehbuch) und Olivier Guignard (Regie) mit Arieh Worthalter und Toinette Laquière. Ich habe bis jetzt eine Folge gesehen, aber da hab' ich Lust auf mehr.

Die Trailer von ARTE

Donnerstag, 16. November: Call My Agent, Sony
Ad now for something completely different, möchte man sagen, oder anders: It's showtime! Das wilde Leben der französischen Promis versuchen die Inhaber der Agentur ASK, Andrea, Mathias, Gabriel und Arlette, zu managen. Fängt die Paranoia der Branche mit gepflegtem Sarkasmus ein, großes Vergnügen.

TVBS

Und zum Abschluss noch ein Buchtipp für wissbegierige Serienfreundinnen und -freunde: "Von Game of Thrones bis The Walking Dead", erschienen soeben im Springer-Verlag, versucht Interpretationen von Kultur in Serie. In 20 Beiträgen nähern sich die Autorinnen und Autoren Serien auf unterschiedliche Art und Weise. "Neue Formen des Altruismus" sucht etwa Svenja Taubner zu "The Walking Dead", die "Sache mit den (nicht) existierenden Geschlechterverhältnissen" untersucht Ulrike Kadi zu "Masters of Sex", die "TV-Serie als postmodernes Familiensofa" sahen Andreas Hamburger und Bettina Hahm in "Breaking Bad", "transmediale Vernetzung als Erzählkonzept der Postmoderne" erklären Jana Nittel und Heinz-Peter Peuffer zu "Sherlock". Timo Storck und Svenja Taubner gaben den Band heraus. Die kreativen Zugänge zum Phänomen Serie machen den Mehrwert aus, bei der Auswahl der Serien hätte man eine Spur näher an der Gegenwart bleiben können. Über Freundschaft in "Sex and the City" zu schreiben wirkt knapp 20 Jahre nach Serienstart etwas überholt. Leider, möchte ich hinzufügen, es war eine gute Zeit.

In diesem Sinne: Frohes Vorwärtsschauen wünscht Prie-View. (Doris Priesching, 9.11.2017)