In seinem politischen Testament schrieb Paul Valéry, der französische Lyriker, Philosoph und Essayist, noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs über "eine Welt, aus der immer stärker jegliche Möglichkeit nützlicher Vorhersage ausgeschlossen ist". Deshalb ist es auch ratsam, bei den hysterischen Identitätsdebatten und bei den geradezu apokalyptischen Spekulationen über einen "neuen Ostblock" Vorsicht walten zu lassen.

Vor einigen Wochen habe ich mich bereits mit den sinnlosen Vorschlägen bezüglich einer Annäherung Österreichs an die "Visegrád-Vier" beschäftigt. Nun gibt es nach dem Wahlerfolg des neuen "starken Mannes" in Tschechien, des Milliardärs und Chefs der Partei Ano, des 63-jährigen Andrej Babis, eine neue Welle von Mutmaßungen über die Anziehungskraft der Gruppe der vier postkommunistischen Staaten.

Ob es Babis gelingen wird, eine Minderheitsregierung zu bilden, oder ob es früher oder später aufgrund einer Pattsituation doch zu Neuwahlen kommen wird, kann heute noch niemand voraussagen. Ebenso unsicher ist, ob die Vorwürfe bzw. Ermittlungen wegen angeblicher Spitzeltätigkeit für den kommunistischen Geheimdienst und wegen des Verdachts auf EU-Subventionsbetrugs seinen Aufstieg zur Nummer eins der künftigen Regierung verhindern können. Die offene Rückendeckung durch den auch wegen seiner Nähe zu Moskau umstrittenen und im Jänner erneut kandidierenden Staatspräsidenten Milos Zeman dürfte laut Politologen Babis' Chancen verbessern, die Macht zu erobern. Immerhin hat Babis, dessen Vermögen über vier Milliarden Euro beträgt, trotz der Aufhebung seiner Immunität durch das frühere Parlament mit 30 Prozent der Stimmen (2013: 18,7 Prozent) die Wahl klar gewonnen.

Angesichts seiner politischen Chancen müssen wir wissen, was Babis erst einmal nicht ist. Nach zwei langen Gesprächen unter vier Augen im Jahr 2015 mit Babis, damals bereits als Finanzminister und Vize-Regierungschef, hatte ich zwar den Eindruck eines äußerst ehrgeizigen und machtgierigen Erfolgsmenschen gewonnen, der die Berufspolitiker verachtet und unter allen Umständen mit einem radikalen und gegen die Korruption gerichteten Programm Nummer eins sein möchte. Zugleich erschien er mir mit seinem eindrucksvoll geschilderten Aufstieg nach Jahren in Marokko als Außenhandelsvertreter und dann Geschäftsmann mit vier Angestellten in den Wendejahren zum zweitreichsten Unternehmer Tschechiens mit 36.000 Angestellten (6000 in Deutschland!) als ein Pragmatiker, und mit einem Restaurant und einer Villa in der Nähe von Cannes auch als "Genießer".

Er ist ein gebürtiger Slowake, der sich mit seinem Akzent und gelegentlichen Sprachfehlern kaum als ein erzkonservativer tschechischer Nationalist gebärden kann. Trotz autoritärer Züge beim Nutzen seiner Medienmacht (zwei Zeitungen und ein Rundfunksender) und wechselnder Ansichten über die Einführung des Euro spielte er schon damals perfekt die Rolle des Kämpfers gegen Vetternwirtschaft und des Managers. Er ist jedenfalls kein Orbán und kein Kaczynski und dürfte sich kaum der antiliberalen nationalistischen Budapest-Warschau-Achse anschließen. (Paul Lendvai, 30.10.2017)