Vor dem Sitz der Generalitat gibt sich dieser Separatist noch nicht geschlagen. Doch innerhalb kurzer Zeit entsteht eine "Gegendemonstration", die für die Einheit Spaniens eintritt.

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Brüssel/Madrid – Der in Spanien wegen Rebellion angeklagte abgesetzte Regionalpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont, ist nach Belgien geflohen. Er habe den Separatisten "persönlich gesehen", sagte der belgische Anwalt Paul Bekaert am Montagabend dem TV-Sender VRT. Puigdemont sei in Belgien und habe ihn als Berater angestellt. Für Dienstag kündigte er eine Stellungnahme Puigdemonts an.

Unklar blieb zunächst, ob Puigdemont in Belgien Asyl beantragen will. "Das ist noch nicht entschieden", betonte Bekaert, der unter anderem auch Angehörige der früheren baskischen Terrorgruppe ETA vertrat und auf Menschenrechte und Auslieferungsfragen spezialisiert ist. Bevor man weitere Schritte beschließe, wolle man abwarten, "wie Spanien reagiert".

30 Jahre Haft drohen

Die spanische Generalstaatsanwaltschaft hatte am Montag gegen Puigdemont, sein gesamtes Kabinett und vier Mitglieder des Präsidiums des Autonomieparlaments ein Verfahren wegen Rebellion, Aufstands und Veruntreuung eröffnet. Wenig später wurde bekannt, dass Puigdemont und fünf seiner Minister auf dem Weg nach Brüssel seien. "Ein exilierter Präsident einer Republik ist eine schwere Anklage gegen Spanien", erklärte der bekannte Liedermacher Lluís Llach, auch Abgeordneter im nunmehr aufgelösten Autonomieparlament.

Belgien ist eines jener europäischen Länder, die Auslieferungsanträge am eingehendsten prüfen und immer wieder ablehnen. Am Wochenende hatte der belgische Staatssekretär Theo Francken, ein Flame, angedeutet, dass Puigdemont durchaus Asyl bekommen könnte.

Laut Generalstaatsanwalt José Manuel Maza haben die Angeklagten mit der Durchführung des Referendums am 1. Oktober und der Ausrufung der Unabhängigkeit am Freitag "mit absoluter Verachtung gegenüber der Verfassung gehandelt". Puigdemont und seine Minister werden vor dem Madrider Sondergerichtshof für Terror, Banden- und Finanzkriminalität angeklagt. Sollten sie verurteilt werden, drohen ihnen allein wegen Rebellion bis zu 30 Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft beantragte bisher keine Haftbefehle, verlangt aber 300.000 Euro Kaution pro Angeklagten.

Ein fast normaler Montag

Der Montag war der erste Tag, an dem Kataloniens Verwaltung mithilfe des Verfassungsartikels 155 unter dem Kommando Madrids stand. Alles verlaufe normal, hieß es vonseiten Madrids.

Am frühen Morgen veröffentlichte Puigdemont auf Instagram ein Foto – aufgenommen aus einem der Fenster des Regierungspalastes der Generalitat. "Bon día" und ein Smiley begleiteten es. Ob der "President" trotz der Amtsenthebung tatsächlich in sein Büro gegangen war oder ob das Bild älter ist, war nicht klar.

Das Wochenende hatte Puigdemont in Girona, der katalanischen Provinzhauptstadt, verbracht, wo er einst Bürgermeister war und mit seiner Familie lebt. Er hielt eine TV-Ansprache, in der er die Bevölkerung zur "demokratischen Opposition" aufrief, ließ sich auf dem Stadtfest filmen und meldete sich begeistert per Twitter zu Wort, als sein Fußballklub FC Girona überraschend gegen den Hauptstadtverein Real Madrid gewann: "Der Sieg von Girona über eine der größten Mannschaften der Welt ist ein Beispiel und eine Referenz für viele Situationen."

Nur einer kam zur Arbeit

Von den restlichen Mitgliedern der Regierung, gegen die ebenfalls Anklage wegen Rebellion erhoben wurde, erschien nur einer kurz an seinem alten Arbeitsplatz und veröffentlichte das Foto in den sozialen Netzwerken. Die anderen blieben fern – wohl nicht zuletzt deshalb, weil Madrid mit Verfahren wegen "Amtsanmaßung" drohte.

Größere Proteste gegen die neue Situation bleiben aus. Nur vor dem Gebäude der Vertretung der Generalitat in Puigdemonts Girona kam es zu einer Menschenkette, die von der Mitarbeiterversammlung beschlossen worden war. Rund tausend Menschen umkreisten den Komplex, um zu zeigen, dass sie "den Artikel 155 kategorisch ablehnen". Sie trugen Schilder mit der Aufschrift "SOS Demokratie".

Von den angeklagten "Rebellen" arbeitete nur die Präsidentin des katalanischen Parlaments, Carme Forcadell, normal weiter. Anders als die Regierung ist sie noch im Amt. Das Parlament wurde zwar von Rajoy aufgelöst und Neuwahlen für 21. Dezember angesetzt – doch Forcadell gehört der Ständigen Vertretung an, die bis zum Wahltag regelmäßig tagt. Allerdings beugt sich auch Forcadell den Zwangsmaßnahmen aus Madrid: Sie sagte alle Sitzungen des Präsidiums – und damit auch die regulären Plenarsitzungen – ab. (Reiner Wandler aus Barcelona, 30.10.2017)