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Im Palast von Westminster gibt es laut einem internen Dossier "Hoch-Libido-Abgeordnete", aber auch Regierungsmitglieder, mit denen man "nicht sicher in Taxis" sei.

Foto: Reuters / Mary Turner

Die Schockwellen des Skandals um den US-amerikanischen Filmmogul Harvey Weinstein haben das britische Parlament erreicht. Die Premierministerin Theresa May will gegen den Sexismus im Unterhaus vorgehen, nachdem Fälle von sexuellen Übergriffen von Parlamentariern bekannt wurden und eine Whatsapp-Gruppe für Beschäftigte von Politikern eingerichtet wurde, die vor den "Weinsteins von Westminster" warnt.

May schrieb an den Sprecher des Unterhauses John Bercow und bat ihn um Mitarbeit, um für Abgeordnete einen verbindlichen Verhaltenskodex und für Angestellte ein effektiveres Beschwerdeverfahren einzuführen.

Am Wochenende wurde der Fall von Mark Garnier, Staatssekretär im Handelsministerium, bekannt. Er hatte 2010 seine damalige Sekretärin gebeten, ihn zu einem Sexshop im Londoner Stadtteil Soho zu begleiten. Sie sollte dort für ihn zwei Vibratoren kaufen, während Garnier draußen vor dem Geschäft wartete.

"Zuckertitten" als "Blödelei"

Außerdem soll er seine Angestellte vor Zeugen "Zuckertitten" genannt haben. Garnier bestreitet die Vorwürfe nicht, will sie aber als "Blödelei" verstanden wissen. May hat angeordnet, dass das Cabinet Office den Vorfall untersucht und feststellt, ob ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex für Minister vorliegt. Ein zweiter Fall betrifft den Abgeordneten Stephen Crabb, der sexuell explizite SMS an eine junge Frau geschickt hatte, die sich erfolglos um einen Job bei ihm beworben hatte.

May weiß, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Sie lässt sich, meldete die "Times", regelmäßig von ihrem parlamentarischen Geschäftsführer über die sexuellen Indiskretionen ihrer Fraktionskollegen unterrichten, habe aber angesichts ihrer fragilen Position davon abgesehen, beschuldigte Kabinettsminister zu entlassen. Britische Abgeordnete beschäftigen im Durchschnitt ein halbes Dutzend Angestellte, von Sekretärinnen über wissenschaftliche Mitarbeiter bis zu persönlichen Assistenten.

Kaum Sanktionsmöglichkeiten

Im Fall von Problemen können sich Arbeitskräfte an eine vertrauliche Hotline wenden, aber die Independent Parliamentary Standards Authority hat nur wenige Möglichkeiten, um Abgeordnete zur Räson zu bringen. In dieser Situation greifen Betroffene zur Selbsthilfe. Von einer Reihe von weiblichen Mitarbeitern, aber auch Volksvertreterinnen im Parlament wurde jetzt eine Whatsapp-Gruppe zur gegenseitigen Information über sexistische Kollegen und Vorgesetzte gebildet.

Die "Weinsteins von Westminster" werden da mit vollem Namen genannt. Über einen Staatssekretär wird geschrieben, es sei mit ihm "nicht sicher in Taxis", und ein Kabinettsminister wird gemeldet, der seine Hände nicht bei sich selbst halten kann. Auch wenn es zumeist unbewiesene Anschuldigungen sind, hat die Aktion den nützlichen Effekt, dass es sich einschlägige Grapscher zweimal überlegen, ob sie es riskieren wollen, an einen virtuellen Pranger gestellt zu werden.

"Hoch-Libido-Abgeordnete"

Die "Times" berichtete am Montag von einem internen Dossier mit dem Titel "Hoch-Libido-Abgeordnete", das die Übergriffe von fast 40 männlichen und weiblichen Volksvertretern auflistet. Darunter sollen 15 Mitglieder der Regierung sein. Das macht die Situation für die angeschlagene Premierministerin brisant. Denn May muss fürchten, dass weitere Skandale, die Kabinettskollegen betreffen, zum Fall ihrer Regierung führen könnten.

Mit ihrem Brief an Sprecher John Bercow geht sie in die Offensive. "Ich glaube nicht", schrieb sie, "dass diese Situation noch länger toleriert werden kann. Es ist einfach nicht fair für Beschäftigte, von denen viele jung sind und ihren ersten Job haben." May drängt John Bercow jetzt, parteiübergreifende Gespräche zu führen und ein Beschwerdeverfahren einzurichten, das Angestellten den nötigen Schutz gibt. (Jochen Wittmann aus London, 30.10.2017)