"Wolfenstein 2" ist für Windows, PS4 und Xbox One erschienen. Eine Ausgabe für die Nintendo Switch soll 2018 folgen.

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Bild: Wolfenstein 2: The New Colossus
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Die "Wolfenstein"-Reihe feiert heuer ihr 36. Jubiläum, der erste 3D-Shooter darunter, "Wolfenstein 3D", wird 25 Jahre alt. Da liegt es nahe, dem Shooter einen neuen Teil zu spendieren. Und den liefern die Entwickler von Machinegames, die das Game anstelle der Schöpfer von id Software mittlerweile vorantreiben, auch.

Vor kurzem ist "Wolfenstein 2: The New Colossus" dort eingestiegen, wo "The New Order" vor drei Jahren mit der alternativen Geschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg aufgehört hat. Der GameStandard hat sich in die alternative Zeitlinie gestürzt und liefer hiermit einen Erfahrungsbericht.

Was bisher geschah...

Zuvor ein kurzer Recap, für alle, die die Geschichte des ersten Teils nicht kennen oder Auffrischung brauchen: Spielheld William "B.J." Blazkowicz (wohl einer der am schwierigsten zu schreibenden Protagonisten der Games-Geschichte), ein Texaner mit polnischem Familienhintergrund, zieht 1946 als Teil einer US-Army-Elitetruppe ins Gefecht gegen die Nazis. Denn in diesem Universum ist der Zweite Weltkrieg noch im Gange. Und statt eines verzweifelten Abwehrgefechts stehen die deutsche Wehrmacht und ihre japanischen Verbündeten vor dem Griff nach der Weltmacht.

Der Angriff schlägt fehl, auf der Flucht wird Blazkowicz schwer verletzt. In einer Klinik überdauert er anonym im Wachkoma die nächsten 14 Jahre, während denen die Tochter des Chefdoktors ihn pflegt. Die gewalttätige Schließung der Einrichtung durch Nazi-Schergen reißt den Helden zurück ins Bewusstsein. Er will nicht hinnehmen, dass "Germanien" die Welt unterjocht hat, stellt Kontakt zur Widerstandsgruppe "Wiesenauer Kreis" her. Diese buddelt mächtige Technologie eines uralten mysteriösen jüdischen Geheimbunds namens Da‘at Yichud aus und startet einen erneuten Angriff auf Erzfeind General Totenkopf in seiner Festung.

Ballern im Rollstuhl

Er überlebt ihn, schwer verletzt. Doch das Ende des Generals war zu wenig, um die Nazi-Herrschaft zu brechen. An Totenkopfs stelle dient nun Generalin Irene Engel als oberste Kommandeurin des Diktators. Hier setzt die Handlung von "The New Colossus" ein, als Regimetruppen das Krankenhaus stürmen, in dem Blazkowicz untergebracht ist.

Und schnell zeigt sich, dass Machinegames auch weiterhin bereit ist, abgefahrene Spielekost zu servieren. Denn zum Einstieg in das Spiel schießt man sich den Weg im Rollstuhl frei. Es soll nicht der einzige Einsatz mit einem eher unüblichen Transportmittel sein, immer wieder mal liefert der Titel hier Abwechslung und dabei auch so ausgefallene Schlachtenvehikel wie einen feuerspeienden Roboterhund.

"Fallout" meets "Half-Life 2"

Dem Stil des ersten Teils ist man freilich treu geblieben. Die Nazis sind sowohl in Architektur, als auch technologischer Ausstattung retrofuturistisch unterwegs. Sie hegen eine Vorliebe für imposante, architektonisch aber wohl eher umstrittene Großbauten aus Stahlbeton. Und während Telefonate noch klassisch über Wählscheibenapparate abgewickelt wird, patroullieren selbständige Roboter und Drohnen durch die Straßen.

Stilistisch nähert man sich dabei sowohl "Fallout", als auch "Half-Life 2" an. Der Tech-Mix aus alt und neu oder Umgebungen wie das von einer deutschen Atombombe verwüstete Manhattan erinnern stark an das Postapokalypse-RPG von Bethesda. Und wer genau hinsieht, wird sogar direkte Anspielungen finden. Die Nazi-Soldaten, denen man begegnet, wiederum ähneln den Combine aus dem Kult-Shooter von Valve. Und auch erzählerisch ist "Wolfenstein 2" (wie auch schon der Vorgänger) dem Abenteuer von Gordon Freeman nicht unähnlich.

So passt nicht nur das Szenario "Held hilft dem Widerstand im Kampf gegen eine böse Besatzermacht" zusammen, auch so mancher Charakter könnte weckt Erinnerungen. "B.J.s" Helferin und Partnerin Anya Oliwa ist das "Wolfenstein"-Pendant zu Alyx Vance. Bastler Set Roth bringt einige Eigenschaften ihres Vaters Eli mit. Leichte Parallelen gibt es auch zwischen Widerstandskämpferin Caroline Becker und der "Half-Life"-Wissenschaftlerin Judith Mossman.

Hier gut, dort böse

Überhaupt zeichnet sich das Spiel trotz eines männlichen Helden mit starken Frauen aus – nicht nur was die Mitglieder des Wiesenau-Kreises angeht. Den Charakteren wird durch die gelungene Erzählung – die auf Deutsch gut synchronisiert ist – mehr Tiefe verliehen, als man von einem weitestgehend abgefahrenen Anti-Nazi-Shooter vielleicht erwartet. Auch diesen Aspekt des Vorgängers konnte Machinegames bewahren. Weiterhin nett sind auch diverse Text-Fundstücke, etwa Zeitungsartikel über den Kriegsverlauf seit 1946 oder Postkarten von Feinden, die offenbaren, dass auch hinter der düsteren Nazi-Uniform Menschen mit Familie und Freunden stecken.

Was sich nicht geändert hat: Es gibt wenig Zwielicht. Es werden zwar Konflikte innerhalb der Rebellengruppe porträtiert, Loyalitäten stehen im Laufe der ersten drei Viertel des Spielumfangs, die für diesen Test circa bewältigt wurden, aber kaum infrage. Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind sehr klar abgesteckt, manche Charaktere mitunter sogar krass überzeichnet. Und auch etwas amerikanischer Nationalstolz-Pathos fehlt nicht.

Hohe Erzählkunst und viel Blut

Im Gegensatz zu anderen Games wirkt dies aber nur sehr selten aufgesetzt, weil es der alternative zeitgeschichtliche Kontext und die Art und Wiese, wie Held und Mission präsentiert werden, erlauben. Man liefert hier das positive Gegenbeispiel zu Umsetzungen wie bei "Halo Wars 2", dessen Intro schon ins Idiotische abdriftet. Möglich gemacht wird dies auch dadurch, dass der Held durch Zwischenaufgaben und auch manchen Hauptmissionen aktiv am Leben in der (diesmal schwimmenden) Widerstandsbasis teilnimmt und man gelegentlich auch die Chance hat, seine schwierige Vergangenheit zu erforschen.

Und dass die Entwickler erneut viel Mühe in die Umsetzung der zahlreichen Zwischensequenzen gelegt haben, tut ihr übriges dazu, dass "Wolfenstein 2" den Spieler erzählerisch bestens mitnimmt – jedenfalls, wenn man sich auf das abgefahrene Setting etwas einlässt. Physikbugs bei gefallenen Gegnern, deren Gliedmaßen öfters in Wänden stecken bleiben, sind bereits die größten Kritikpunkte.

Die Darstellung des Geschehens ist freilich nichts für Zartbesaitete. Ebenso wie manche Figuren, ist auch die Gewaltdarstellung in diesem Spiel überzeichnet. Explodierende Köpfe, herumfliegende Gliedmaßen und viel Blut zählen zum Standard-Repertoire. Was nicht zu sehen ist: Nazi-Symbolik. Um dem Verbotsgesetz genüge zu tun, wurden Hakenkreuze, SS-Runen und andere Zeichen entfernt bzw. durch alternative Insignien ersetzt.

Oldschool-Gameplay

Beim Gameplay bleibt man der bisherigen Linie treu. Das heißt: Manche Level und Abschnitte lassen sich auf Stealthmanier lösen – unter Einsatz von Nahkampf, Beilwürfen und schallgedämpften Waffen. Das Leveldesign erzwingt aber in vielen Fällen früher oder später intensive Gefechte und auch regelmäßige Zwischengegner sind Teil des Inventars. Dass es sich im Kern immer noch um einen Oldschool-Shooter handelt, erkennt man auch daran, dass es abseits von Schleichen und einfacher keine Stealth-Mechanismen gibt. Gegner werden alarmiert von toten Kompagnons, es ist aber etwa nicht möglich, erschossene Feinde wegzutragen. Folglich ist auch das Progressionssystem, das dem Spieler je nach Häufigkeit bestimmter Kampfaktionen kleine Boni beschert, nur von geringem Einfluss auf das Gesamterlebnis.

Auch Waffenhandlung und Gegner-Intelligenz verraten, dass Schleichangriffe eher als Beiwerk zu verstehen sind. Nazi-Soldaten bewegen sich in Deckung und starten vereinzelt Flankierungsversuche. Besser gepanzerte Widersacher suchen immer die direkte Angriffsmöglichkeit. Grundsätzlich gilt, dass normale Gegner einzeln keine Gefahr darstellen.

Daraus folgt, dass sie nur selten einzeln auftauchen. Wer auf schnelle, adrenalinschwangere Action steht, ist hier somit immer noch goldrichtig. Das Waffenarsenal ist dabei immer noch ausreichend groß und durch das Auffinden von Verbesserungs-Kits können die Schießprügel auch aufgewertet werden – zum Beispiel um mehr Schaden zu verursachen oder mit einem Zielfernrohr. Das Waffenhandling ist arcadig – Kugeln schlagen im Prinzip dort ein, wo das Fadenkreuz hinzeigt, der Rückstoßeffekt ist gnädig gehalten. Kampfhandlung werden von Metal-Klängen passend untermalt, überhaupt zeichnet sich "Wolfenstein 2" mit starker Akustik aus.

Neben dem eigentlichen Spiel gibt es auch noch ein Minigame, für welches sich die von gegnerischen Offizieren gesammelten "Enigma-Codes" nutzen lassen. Sie dienen zur Lokalisierung wichtiger Anführer, um dem Widerstand das Ausführen von Attentaten zu ermöglichen. Die Umsetzung ist allerdings eine eher langweilige Angelegenheit.

"Wir spielen: Wolfenstein 2"
WIRSPIELEN

Fazit

"Wolfenstein 2: The New Colossus" ist ein Singleplayer-Shooter der alten Schule, der Stil und Niveau seines Vorgängers beibehält und dazu kleinere Änderungen und bessere Grafik liefert. Spielerische Innovationen setzt der Titel nicht. Seine Stärken liegen in seiner Zugänglichkeit, seiner sehr gelungen Inszenierung und der Fähigkeit von Machinegames, die Geschichte des Widerstandes in einer von Roboter-Nazis beherrschten Welt über weite Strecken mitreißend zu erzählen und dabei auch mit abwechslungsreichen Handlungsorten und Aufgaben sowie charakterlichem Tiefgang zu glänzen.

Richtig ist hier, wer auch schon "The New Order" mochte. Gut aufgehoben sind auch Spieler, die gerne in der Handlung versinken und dafür auch einen im Kern simpel gehaltenen Spielaufbau akzeptieren. In letzterem Fall lohnt sich dann auch der Griff zum Vorgänger, der mittlerweile recht günstig zu haben ist – denn es hilft auch, sich schneller in der Geschichte des neuen Teils zurecht zu finden. (Georg Pichler, 05.11.2017)

"Wolfenstein 2" ist für Windows, PS4 und Xbox One erschienen. Eine Ausgabe für die Nintendo Switch soll 2018 folgen.