Wien – Für eine Gruppe deutscher Bauarbeiter beginnt das Morgenland in Bulgarien. Sie sind in die idyllische Gegend gekommen, um ein Wasserkraftwerk zu bauen. Der Auftrag ist schlecht vorbereitet, also müssen die Männer sich die Zeit vertreiben. Sie trinken Bier, halten ihre Beine in den Fluss, albern herum.

Gedreht mit Laiendarstellern im bulgarischen Hinterland: Valeska Grisebachs "Western" macht vom Rand Europas aus deutlich, wie man sich an jedem Ort der Welt dem Leben neu öffnen kann.
Foto: Stadtkino

Eines Tages haben sie eine Erscheinung: Zwei Frau kommen zum Baden, am anderen Ufer. "Eine Fata Morgana", sagt einer. Ein Wort, das nach Osten weist, also gar nicht zu dem Titel des Films passt, in dem es fällt: Western von Valeska Grisebach ist auch ein "Eastern". Für einen Western reicht manchmal schon ein Pferd. Als einer aus dem Trupp ins Dorf reitet, um dort Zigaretten zu besorgen, ist man beinahe schon bei Clint Eastwood, der am besten diesen "Fremden ohne Namen" spielen konnte, der gelegentlich unerwartet irgendwo auftaucht und dann die Verhältnisse gründlich über den Haufen wirft.

So dramatisch geht es in Western nicht zu. Abgesehen von der Bedienung der schweren Baumaschinen ist das eine postheroische Erzählung. Das hat wesentlich mit der zentralen Figur zu tun: Meinhard ist ein hagerer Mann mit wehmütigem Blick. Er hat schon eine Menge erlebt, würde das aber lieber für sich behalten. In der Gruppe und im Dorf wird er allgemein nur als der "Legionär" bezeichnet. Er war einmal in Afghanistan, auch in Afrika, nun sucht er nach einem Ort für sich.

Historische Möglichkeiten

"Wir bringen hier Infrastruktur mit rein", rechtfertigt der Bauleiter Vincent die massiven Eingriffe in die regionale Ökologie, die bald zu richtigen Konflikten führen. Denn in der Gegend ist das Wasser knapp, das Dorf sitzt auf dem Trockenen, wenn die Deutschen zu viel abzwacken. Darüber muss gesprochen werden, aber umständlich und mit Dolmetschern, die ein wenig Deutsch können, und mit Worten, die man sich allmählich aneignet.

In einer der beziehungsreichsten Szenen lässt Grisebach in Western eine Mauer bauen. Sie ist nur ganz klein, und sie erfüllt vor allem den konkreten Zweck, dass Meinhard mitbekommt, wie man in Bulgarien arbeitet – nicht so reglementiert, sondern angepasst an die Umstände. "Jeder Stein hat seinen Platz". Es ist eine schöne Anspielung auf Spur der Steine, einen berühmten Film aus der DDR, und darüber hinaus auf den Sozialismus als eine historische Möglichkeit, die hinter jenem Eisernen Vorhang verspielt wurde, den es nun – wie die Mauer in Berlin – nicht mehr gibt. Was es aber immer noch gibt, sind Erinnerungen. Eine alte Frau weiß noch von der Zeit, als die Deutschen schon einmal in Bulgarien waren.

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Valeska Grisebach, die in Wien Film studiert hat und nun wieder in Berlin lebt, zeigte sich schon mit ihren ersten beiden Spielfilmen, Mein Stern (2001) und Sehnsucht (2006), vor allem an den kaum merklichen Schichtungen interessiert, in denen sich das Leben vor der Kamera zu Tonbildern formt, die sich gar nicht groß zu Geschichten aufschwingen müssen. Diese Aufmerksamkeit für Nuancen kommt auch aus einem bestimmten Konzept vom Schauspiel: Meinhard Neumann in der Hauptrolle oder der großartige Syuleyman Alilov Letifov in der Rolle seines bulgarischen Freundes Adrian spielen als erfundene Figuren sich selbst.

Grisebach hat mit ihren Darstellern auch eine Landschaft entdeckt, die noch Züge einer Wildnis trägt. Und daraus hat sie einen Film aus dem Geist von Jean Renoir gemacht (man denke zum Vergleich an dessen Toni).

"Was suchst du hier?", fragt Adrian in einer der letzten Szenen des Films den Mann, der ihm so nahegekommen ist, wie es unter Fremden nur möglich ist. Die Antwort darauf ist Western selbst: eine zwei Stunden lange Erfahrung über die Art, wie man sich dem Leben öffnen kann, wenn man eigentlich viele Gründe hätte, damit schon abgeschlossen zu haben. Valeska Grisebachs Western ist einer der besten – und schönsten – Filme seit langer Zeit, weil er an den Rändern von Europa die Mitte der Welt findet. (Bert Rebhandl, 3.11.2017)