Nur etwa 800 Exemplare der neu bestimmten Orang-Utan-Art leben auf einem kleinen Gebiet auf Sumatra südlich des Tobasees. Ob die Population die nächsten Jahrzehnte überleben wird, ist fraglich.

Foto: Maxime Aliaga

Ein 2013 entdeckter Schädel eines Orang Utans, der von Menschen getötet worden war, zeigte deutliche Unterschiede zu den bisher bekannten Spezies.

Foto: Nater et al.

Zürich/Wien – Sieben lebende Hominiden-Arten sind der Wissenschaft heute bekannt: der Mensch, der Gemeine Schimpanse, der Bonobo, zwei Gorilla-Spezies und zwei Arten von Orang-Utans. 1997 allerdings waren Biologen von der Australian National University Gerüchten nachgegangen, wonach tief im Dschungel von Nordsumatra südlich des Tobasees eine bis dahin unentdeckte Gruppe von "Waldmenschen" hausen soll, die sich von den übrigen beiden Orang-Utan-Spezies unterscheidet.

Bisher gab es zwei Orang-Utan-Arten. Nun haben Forscher auf der indonesischen Insel Sumatra eine weitere Art der Menschenaffen gefunden.
ORF

Tatsächlich entdeckten die Forscher in der damals weitgehend unberührten Tapanuli-Region im Batang-Toru-Wald eine isolierte Orang-Utan-Population von mehreren Hundert Individuen. Es vergingen jedoch weitere 16 Jahre, ehe der Fund eines Orang-Utan-Skeletts aus diesem Gebiet den Verdacht erhärtete, dass man es mit einer neuen Art zu tun haben könnte.

Diese Annahme konnte nun mit letzter Gewissheit bestätigt werden: Einem internationalen Team um Michael Krützen von der Universität Zürich ist es nach jahrelangen Untersuchungen gelungen, die Tapanuli-Orang-Utans neben Pongo abelii und Pongo pygmeaeus als dritte eigenständige Spezies zu identifizieren, die den wissenschaftlichen Namen Pongo tapanuliensis erhielt.

Kein alltäglicher Fund

"Man findet nicht jeden Tag eine neue Art von Menschenaffen. Diese Entdeckung ist sehr aufregend", meint Krützen, der seine Ergebnisse gemeinsam mit Kollegen in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals "Current Biology" präsentierte. Das letzte Puzzlestück zu diesem Erfolg lieferten Genanalysen von insgesamt 37 Orang-Utans aller bekannten Populationen, deren Ergebnisse sich weitgehend mit dem Bild deckten, das die früheren anatomischen Befunde ergeben hatten.

"Dabei identifizierten wir drei sehr alte Evolutionslinien, obwohl bis dahin nur zwei wissenschaftlich beschrieben waren", sagt Maja Mattle-Greminger, Co-Autorin der Studie. Computermodelle zur Rekonstruktion der Geschichte der neuen Art bestätigten zusätzlich die Resultate. Die Berechnungen zeigten, dass die Tapanuli-Population bereits seit 10.000 bis 20.000 Jahren völlig isoliert von den übrigen Sumatra-Orang-Utans existierte.

Mehr noch: Die Tapanuli-Orang-Utans dürften sogar die älteste Evolutionslinie innerhalb der Gattung Pongo darstellen. Dies könnte bedeuten, dass die Vorfahren dieser Spezies die ersten Orang-Utans waren, die vom asiatischen Festland auf die Insel herüberkamen.

Insgesamt zählten die Forscher rund 800 Pongo-tapanuliensis-Individuen, was letztlich auch heißt, dass vom Bestand der ohnehin schon bedrohten Sumatra-Art Pongo abelii von rund 14.600 Tieren 800 Exemplare abzuziehen sind. Die geringe Populationsgröße macht Pongo tapanuliensis damit zur gefährdetsten aller Menschenaffenarten.

Dem Untergang geweiht

Die Prognosen für die kommenden Jahre sind alles andere als rosig: Die Wissenschafter warnen davor, dass die neu identifizierte Spezies sogar sehr bald aussterben könnte. Nicht nur die Jagd auf die Tiere und die voranschreitende Rodung der Wälder zugunsten von ausgedehnten Palmölplantagen machen ihr schwer zu schaffen. Den Todesstoß könnte Pongo tapanuliensis der geplante Bau eines Staudamms in der Region versetzen. Das Projekt würde weite Teile des Lebensraums dieser Spezies überschwemmen.

Bereits bei einer Sterblichkeitsrate von einem Prozent pro Jahr wäre das Überleben dieser Art nicht mehr gesichert, rechnen die Wissenschafter vor. "Würden nur acht von den 800 Tieren pro Jahr getötet oder auf andere Weise von der Population entfernt, wäre die Spezies dem Untergang geweiht", befürchten die Forscher. (Thomas Bergmayr, 3.11.2017)