In seinem Lebenslauf hat Heinz Pfeifer beim Punkt "persönliche Kompetenzen" seine Sehbehinderung angeführt: "Sie motiviert mich."

Foto: Christian Fischer

Pfeifer hat die Seherkrankung Retinitis pigmentosa. Wie sie sich bei ihm äußert, erklärt er im STANDARD-Gespräch: "Wenn ich Ihnen ins Gesicht schaue, sehe ich nichts. Da ist ein Fleck, an dem ich nicht vorbeischauen kann."

Foto: Christian Fischer

Als ich in der Handelsakademie einen Angabenzettel für eine Buchhaltungsschularbeit bekommen habe – und für mich auf dem Zettel nichts gestanden ist: Das war ein prägender Moment. Obwohl meine Sehbehinderung schon im Kindesalter diagnostiziert worden ist, wurde nie groß darauf eingegangen. Ich bin immer ganz normal in die Schule gegangen. Und dort haben sich die Probleme dann geäußert. In den letzten zwei Schuljahren habe ich etwa die Tafel nicht mehr lesen können.

Erst nach der Matura habe ich erfahren, was ich mit den Augen habe: Retinitis pigmentosa. Eine weitverbreitete Erkrankung. Die Fähigkeit zu sehen wird dabei fortlaufend schlechter. Ich vergleiche das mit einem Puzzle: Bei mir steht der Rahmen, aber von innen nach außen fehlen immer mehr Teile. Den Rand meines Blickfelds sehe ich, aber unscharf. Wenn ich Ihnen ins Gesicht schaue, sehe ich nichts. Da ist ein Fleck, an dem ich nicht vorbeischauen kann.

Am Beginn meines Studiums kam dann das Nichtwahrhabenwollen der Sehbehinderung. Später das Verarbeiten, die Sinnsuche – die ganzen Phasen, die man eben durchläuft. Ich habe in Innsbruck Betriebswirtschaft studiert, wo ich vor gewisse Schwierigkeiten gestellt war. Ich konnte weder Hand- noch Druckschrift lesen, und damals gab es diverse technische Hilfsmittel noch nicht, wie die Computersysteme mit Sprachausgabesoftware. Mit zunehmender Verschlechterung meiner Sehfähigkeit gingen Dinge nicht mehr, die vorher gegangen sind. Zum Beispiel Zeitunglesen.

Auf Coaching gekommen

Mein Studium habe ich trotzdem abgeschlossen. Danach habe ich eine EDV-Firma gegründet, die aber nach drei Jahren pleitegegangen ist. Dazu kamen private Probleme, und ich bin in eine totale Lebenskrise geschlittert. Ich musste überlegen, wie es weitergeht. Was kann ich trotz meiner Sehbehinderung machen? So bin ich auf Coaching gekommen und habe dazu mehrere Ausbildungen absolviert. Es hat mich immer schon interessiert, was Menschen helfen kann. Oft brauchen sie keine Therapie, sondern nur gewisse Unterstützung in einer Problemsituation, damit sie wieder selbstständig gehen können.

Ich habe dann auch den Gewerbeschein für Lebens- und Sozialberater gelöst und mich auch in diesem Bereich selbstständig gemacht. Unter anderem bin ich als Achtsamkeitstrainer tätig. Regelmäßig innezuhalten, zu spüren: "Was ist mit mir los?" – das können viele nicht mehr. Die Ursache dafür ist sicher auch die permanente Reizüberflutung. Überall prasseln Informationen auf einen ein, man merkt gar nicht mehr, dass man im Hamsterrad rennt.

Achtsamkeit ist auch etwas, das ich erst selbst habe lernen müssen. Man macht ja viel Berufliches auch aus einer persönlichen Bedürftigkeit heraus. Aufgrund meiner Sehbehinderung habe ich immer wieder Techniken entwickeln müssen, um doch ein Gesamtbild zu bekommen. Wenn ich Information nicht lesen kann, wie komme ich anderweitig dazu? Wenn der Zug pünktlich ist, brauche ich nur zu wissen, wann er ankommt. Dann weiß ich, wo ich bin. Das war die alte Methode. Heute habe ich ein Handy, das mir per GPS sagt, wo ich mich befinde. Ich kann selbstständig überall hinreisen. Wenn wir uns nicht in Wien, sondern in Hamburg getroffen hätten – ich war noch nie in Hamburg –, bin mir sicher, ich finde hin.

Zumuten, zutrauen

Beim Thema Barrierefreiheit sehe ich noch viel Handlungsbedarf. Viele Webseiten lassen sich nur eingeschränkt nutzen. Die meisten Gebäude sind nicht barrierefrei. Es gibt keine Leit- oder Informationssysteme für Sehbehinderte, und es ist schwer zurechtzukommen. Allein: Wo ist die Eingangstüre und wo muss man läuten? Meine Strategie ist, anzurufen und zu sagen, dass ich da bin. Zumuten, zutrauen, das ist mein Motto. So weit gehen, wie ich gehen kann, und dann, wenn ich anstehe, wieder eine Lösung finden.

2013 habe ich einen Lehrgang für Lebensberatung auf die Beine gestellt. Neben meinem Beruf habe ich mich auch immer ehrenamtlich engagiert. Zum Beispiel habe ich eine Männerberatungsstelle in Lienz gegründet und war jahrelang im Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes aktiv.

Aus dem Nichts etwas aus dem Boden zu stampfen ist mir immer wieder gelungen. Es heißt "Menschen mit besonderen Bedürfnissen". Ich sage immer: Ich bin ein Mensch mit "besonderen Fähigkeiten". Ich kann Perspektiven miteinbeziehen, die ein Sehender nicht hat. In Alternativen denken. Es überrascht mich, dass das nicht mehr genutzt wird, auch von Unternehmen. Ich vermute, das liegt daran, dass ich die Menschen verunsichere, ein lebender Widerspruch für sie bin. Sie haben gewisse Vorstellungen von einem Sehbehinderten, und ich bediene das Klischee nicht. Oft bekomme ich zu hören: "Du siehst gar nicht aus wie ein Blinder." Wobei mir noch nie jemand die Frage beantworten konnte, wie ich aussehen müsste, um als Blinder durchzugehen.

Was ist wirklich wichtig?

Ich mache die Dinge trotz meiner Einschränkung. Zum Beispiel habe ich eine Zeitlang als DJ gearbeitet, im Chor gesungen und Tanzkurse geleitet. Was die Leute verwirrt: dass ich die Dinge auf einem guten Niveau mache. Zum Beispiel besser tanze als andere.

Ich habe mir immer wieder neue Herausforderungen gesucht. Mein letztes Projekt: die Selbstausbildung meines Blindenführhundes Netty. Das war sehr herausfordernd und anstrengend. Momentan bin ich dabei, mich neu zu orientieren. Ich will aus der selbstständigen Tätigkeit heraus in ein Anstellungsverhältnis. Ich hatte noch nie ein fixes Einkommen und will endlich einmal längerfristig planen können.

Außerdem werde ich demnächst aus familiären Gründen nach Kärnten ziehen. Die Tochter meiner Frau lebt dort mit ihrem Mann. Sie bekommen gerade das zweite Kind, und wir möchten unsere Enkel aufwachsen sehen. Der Umzug ist das Ergebnis einer veränderten Work-Life-, oder besser gesagt: "Work-Love-Balance". Für ein erfülltes Leben ist es notwendig, sich regelmäßig zu fragen: "Was ist wirklich wichtig?" und dann auch den Mut aufzubringen, sich auf Veränderungen einzulassen. (Protokoll: Lisa Breit, 4.11.2017)