Wien – Der Mann aus Bakersfield – einem Örtchen nördlich von Los Angeles – ist seit der Einspielung Liquid Spirit (2013) ein globaler Jazz-Hit. Zum stressigen Teil seiner Erfolgsexplosion gehören für Gregory Porter allerdings auch, wie er unumwunden gesteht, Tourneen quasi ohne ein echtes Finale. Die etwa 250 Konzerte, die der ehemalige Footballspieler gibt, zehren denn auch an den Kräften und bringen womöglich "Entfremdung" mit sich.

Der vielseitige US-Sänger Gregory Porter (Jahrgang 1971) sucht nach den Wurzeln seiner Kunst und produziert ein sanftes Album, das weit in die 1950er-Jahre zurückreicht.
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Vielleicht ist Porter auch deshalb wieder nach Bakersfield gezogen, wo seine Geschwister leben. Und womöglich gehört auch sein neuestes Album in den Bereich "Suche" nach jenem künstlerischen Ort, von dem aus sein vokales und kompositorisches Tun seinen Ausgang nahm.

Die Neuheit Nat "King" Cole & Me wäre damit nicht nur ein weiteres Tribute-Album. Der Kniefall vor Pianist und Vokalist Nat King Cole (1919-1965) wirkte auch als Erinnerung an einen Musiker, den der kleine Porter zum imaginären Vater hochstilisierte, während der reale durch Abwesenheit glänzte.

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Porter selbst will das so deuten: In gewissem Sinne habe Nat King Cole – künstlerisch ohnedies ein Vorbild – auch eine Lebenslücke geschlossen. Selbst später, als ihn eine Verletzung zwang, seinen Sport aufzugeben, wäre er zurück zu Coles Musik gegangen.

Das Einbetten der neuen CD in eine persönliche Story mit selbsttherapeutischen Zügen geht Hand in Hand mit dem Einhüllen von Porters Stimme in einen samtig-luxuriösen Orchestersound, der Tradition hat und besonders bei Balladen für jene Atmosphäre sorgt, die etwa bei Frank Sinatras Only the Lonely melancholisch Maßstäbe setzte.

Dem Original folgen

In den romantisch bis impressionistisch angehauchten Arrangements von Vince Mendoza erhebt sich beim Klassiker Nature Boy Porters Stimme mit gewohnt dunkler Substanz. Sie folgt dem Original stilgetreu, was vom Jazzstandpunkt aus als falsche Bescheidenheit ausgelegt werden könnte. Allerdings ist Porter ein geschmackvoller Sänger, der die Cole-Schule – mit ihrem entspannten und legatoorientierten Gesang – nicht verleugnet. Künstlich oder aufgesetzt historisch wirkt da also gar nichts.

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Bereits auf früheren Alben ging es Porter ja um die Wiederbelebung einer Emotionalität, die er vermisste. Er wurde damit zum erfolgreichen und kultivierten Reanimator der vokalen 1950er- und 60er-Jahre: Sein Bariton trägt Spuren eines Sammy Davis Jr. wie auch eines Leon Thomas (mit einem Hauch von Aaron Neville). Er ist zu souliger Emphase fähig wie auch zu komplexeren vokalen Ausritten Richtung jazzigen Scat-Gesangs. Porter reüssiert also mit subtiler Fusion von Traditionen.

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Momentan rückt der Mann mit der seltsamen Ballonmütze, die er auch in sommerlichen Phasen hoher Temperatur nicht ablegt, eben seinen cremigen Sound in den Mittelpunkt. Bei Cole & Me evoziert er so eine würdevoll tönende Nostalgie, die dem Weihnachtsgeschäft der Firma Blue Note nicht schaden wird.

Porter sieht es gerne eher unökonomisch: "Es ist nur natürlich, dass ich zu den Wurzeln meiner Inspiration zurückgehe, dorthin, wo ich herkomme." Geschenkt. (Ljubisa Tosic, 4.11.2017)