Die Schauspielerin Maria Furtwängler: "Unsichtbarmachung von Frauen ist eine subtile Form der Diskriminierung."

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Wollen Sie das Publikum umerziehen?", fragte der ZDF-Moderator Claus Kleber die Schauspielerin Maria Furtwängler vor kurzem in einem TV-Interview. Furtwängler blieb höflich und sorgte so für eine Sternstunde im Fernsehen. Im "Tatort" am Sonntag um 20.15 Uhr in ORF und ARD wird sie als Charlotte Lindholm Opfer – das aus Scham schweigt. Auch in der Branche ist das keine Seltenheit, sagt sie.

STANDARD: Das Thema sexuelle Belästigung ist derzeit in allen Medien. Deutschland und Österreich sind offenbar auch keine Insel.

Furtwängler: Das gibt es bei uns natürlich genauso, und es ist in den USA gewissermaßen erstaunlich, weil sich die Frauen dort schon sehr viel früher sehr dezidiert gegen sexual harrassment positioniert haben. Das deutsche Gesetz sah bis vor kurzem noch gar nicht vor, dass sexuelle Belästigung in Form von Grapschen ein Straftatbestand ist. In Amerika sind sie da viel weiter. Wenn von einzelnen Menschen sehr viel Macht insbesondere im Kulturbereich ausgeht, ist sexueller Belästigung Tür und Tor geöffnet. Gerade in diesem sehr lässigen Bereich, Kultur, Kunst und Schauspiel – Mensch, da sind wir doch alle so lustig, da ist das doch mal eben gar nicht so schlimm.

STANDARD: Ohne die Diskussion in den USA hätte es eine Kampagne wie #MeToo nicht hierher geschafft.

Furtwängler: Es braucht offenbar immer einen Fall, denken Sie an Frankreich, an Strauß-Kahn. Frankreich, das ja auch stolz ist auf seine Kultur der Verführung, der Erotik. Die Französinnen geben weltweit einzigartige 20 Prozent in Lingerie aus, man war immer auch irgendwie stolz auf seine Präsidenten, die Mätressen hatten. Aber als Strauß-Kahn kam, ist auch in Frankreich eine Riesendebatte losgegangen und es gab eine schärfere Abgrenzung. Jedes Land hat seinen Harvey Weinstein, der hochgespült wird, dann geht die Debatte von vorne los.

STANDARD: Wie sind Ihre Erfahrungen?

Furtwängler: Ich habe sie nie in solchen Machtkonstellationen erlebt. Zum Glück ist mir in meinem Leben noch kein Harvey Weinstein begegnet. Von Freundinnen habe ich es aber schon oft gehört. Damit verbunden ist aber immer auch die Scham. Wir fühlen uns dann ja immer gleich schuldig, dass wir zu nett sind, und dass wir uns dann schämen, wenn uns jemand antatscht. Ich glaube, das kennt jede Frau.

STANDARD: In der "Tatort"-Folge "Der Fall Holdt" am Sonntag wird Charlotte Lindholm selbst zum Opfer, sie schämt sich und schweigt. Das passt ganz gut zur aktuellen Debatte.

Furtwängler: Was ihr hier widerfährt, resultiert ja auch aus einem großen Stück Scham. Sie will nicht Opfer sein. Charlotte Lindholm ist eine starke, souveräne Frau, eine Kommissarin, die die Seite wechselt. Sie wird von der souveränen, taffen, alles unter Kontrolle habenden Polizistin zum Opfer. Was ihr passiert, ist ihr so enorm unangenehm, so dass sie den ganzen Rest des Falles versucht, wieder ihre Souveränität zu erlangen. Sie versucht es durch Verdrängen ungeschehen zu machen. Lindholm tappt in die Falle und lässt sich nicht helfen.

STANDARD: Das Ende des "Tatort" ist karrieremäßig ein totales Desaster. Haben Sie über den Schluss diskutiert?

Furtwängler: Ich muss sagen, ich war über das Ende erschüttert, denn es wirkt tatsächlich hoffnungslos. Charlotte Lindholm hat sich in jeder Hinsicht so grauenvoll verrannt, das wird auch im nächsten Fall eine Rolle spielen.

STANDARD: Mit der von Ihnen in Auftrag gegebenen Studie sorgten Sie jüngst für Aufsehen. Haben die Ergebnisse Auswirkungen auf Ihre Entscheidung von Rollenangeboten?

Furtwängler: Es ist jetzt mein 25. Tatort, und ich habe neulich gezählt, es waren sechs Regisseurinnen dabei, das ist deutlich über "Tatort"-Schnitt, und immer noch absolut wenig. Ich bin weit davon entfernt, zu sagen, ich arbeite jetzt nur noch mit Regisseurinnen, das wäre ja blöd. Wenn ich mich als Bürgerin, als Frau, als Feministin mit so einer Studie befasse, dann habe ich den Studienhut auf und der andere ist der Schauspielerinnen-Hut. Das sind zwei vollkommen verschiedene Sachen, und ich habe überhaupt nicht vor, in Zukunft mit dem Studienhut auf Projekte zu schauen und nur noch politisch-korrekte Dinge zu tun. Das wäre eine extreme künstlerische Einschränkung. Natürlich bringe ich meine Gedanken zu den Dingen, zur Figur auch ein, aber mir ist schon wichtig, dass am Ende eine spannende Geschichte steht. Es wäre fatal, wenn ich jetzt überall eine politische Message hineinzupacken versuchte.

STANDARD: Macht es einen Unterschied, ob eine Regisseurin Regie führt?

Furtwängler: Ich habe darüber nachgedacht, aber ich kann es generell so nicht sagen. Die Frauen, die ich hatte, waren so unterschiedlich, dass es mir unmöglich wäre, daraus eine homogene Gruppe zu schmieden und mit der homogenen Gruppe der Männer zu vergleichen. Die individuellen Unterschiede sind noch einmal größer als die zwischen Mann versus Frau. Gleichzeitig würde ich sehr unterschreiben, was zum Beispiel Jane Campion auf die Frage sagte, warum sie denn nie einen Mann in den Mittelpunkt ihrer Erzählungen stelle. Sie sagte, ja, im Prinzip schon, aber ich bin eine Frau, und ich interessiere mich für das Leben von Frauen. Viel mehr und viel weniger ist es nicht, und deswegen ist es wichtig, wenn mehr Frauen Filme machen und mehr Frauen Drehbücher schreiben, damit auch mehr Geschichten von Frauen erzählt werden, vor allem vielfältige Geschichten.

STANDARD: Hat sich Claus Kleber gemeldet?

Furtwängler: Nein, wir haben seitdem nicht gesprochen. Er hat uns mit seiner Reaktion aber eher einen Gefallen getan, weil die Studie ja sehr diskutiert wurde.

STANDARD: War Ihnen während des Interviews bewusst, was da abläuft?

Furtwängler: Überhaupt nicht. Ich war nur konsterniert, weil ich Fragen zu seiner Recherche erwartet hatte. Wir unterhielten uns davor noch ganz nett, ich habe etwas über seinen schwarzen Pulli gesagt, und plötzlich legt er so los. Ich war wirklich nur konsterniert und dachte dauernd, ich bin im falschen Film.

STANDARD: Vielleicht wollte er Sie auf die Probe stellen?

Furtwängler: Ich glaube, er wollte vielleicht wirklich provokante Fragen stellen, damit das Ganze nicht zu "schmusekursig" wird. Ich glaube, dass es einen Hauch mit ihm durchgegangen ist.

STANDARD: Sehen Sie sachliche Auswirkungen der Studie?

Furtwängler: Was ich aus den Reaktionen höre, ist da Bewegung und die Frage wird diskutiert, was können wir denn da machen. Das freut mich sehr. Wir wollen mit einer Untersuchung in zwei Jahren noch einmal nachschauen, was sich da geändert hat.

STANDARD: Sie sind in einer privilegierten Situation und können sich ihre Rollen aussuchen. Was sollen junge Schauspielerinnen oder mehr noch solche ab 50 machen, die nicht so gefragt sind?

Furtwängler: Das größere Problem besteht für Frauen, die weder stereotype noch sonst irgendwelche Rollen angeboten bekommen, was ab 30 stark zunimmt. Auf eine Frau mit 50 kommen vier Männer, auf eine Frau mit 60 kommen fünf Männer, und ich kenne unzählige Kolleginnen in meinem Alter, die überhaupt nichts zu tun haben. Da geht es nicht mehr um Stereotype, sondern um existentielle Fragen und um solche der Gleichberechtigung. Diese Unsichtbarmachung von Frauen, das ist eine subtile Form der Diskriminierung.