Israels Premier Benjamin Netanjahu hat zwar am 2. November in London den 100. Jahrestag der Balfour-Erklärung gefeiert, aber auch einen Tadel angebracht: Die Briten hätten sich ja eigentlich vom im Dokument gegebenen Versprechen von Außenminister Arthur James Balfour, die Errichtung "einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk" in Palästina zu favorisieren, zurückgezogen.

Er meinte damit, dass die Briten später versuchten, die jüdische Einwanderung ins zukünftige Israel zu stoppen – und das zur Zeit der allergrößten Not der Juden. Die Briten blenden diesen Teil lieber aus und feiern sich heute quasi als Gründungsväter des Judenstaats. Die Palästinenser wiederum werfen den Briten nicht nur das Dokument an sich vor, sondern auch, dass die Behauptung, bei der Ansiedlung von Juden würden die Rechte der nichtjüdischen Bevölkerung unangetastet bleiben, verlogen war.

Und alle haben sie recht. So ist es mit Geschichtsdokumenten: In der jeweils eigenen Erzählung bedeuten sie sehr Unterschiedliches. Der Kontext der Balfour-Erklärung war der Erste Weltkrieg: Das Osmanische Reich – Palästina war Teil davon – erwies sich als zäherer Gegner als erwartet, der britische Alliierte Russland war die judenfeindliche Macht schlechthin. Also waren freundliche Gesten den Zionisten gegenüber angesagt. Ein wirkungsmächtiger historischer Moment – aber kein geeignetes Prisma, um den Konflikt der letzten hundert Jahre zu betrachten und zu begreifen. (Gudrun Harrer, 3.11.2017)