Bild nicht mehr verfügbar.

Katars Außenminister Sheikh Mohammed bin Abdulrahman Al Thani bei einer Pressekonferenz. Ein unmittelbares Ende des Konfrontation Katars mit Saudi-Arabien erwartet Experte Marc Valeri nicht.

Foto: AP / Alex Brandon

STANDARD: Der Golfkooperationsrat aus Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und dem Oman ist zutiefst zerstritten. Ist die Organisation am Ende?

Valeri: Der Golfkooperationsrat als Organisation hat eigentlich immer ein schwieriges Leben gehabt, seit seiner Gründung in den 1980er-Jahren. Er wird aber wohl nicht kollabieren, sondern als lose Gruppe zusammenbleiben, die hauptsächlich mit dem Überleben der eigenen Regime beschäftigt ist und punktuell wirtschaftlich zusammenarbeitet. Die beiden wirtschaftlich stärksten Länder, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, ziehen momentan an einem Strang. Das war nicht immer so, und wenn die beiden wieder in ein Konkurrenzverhältnis treten sollten, wie es vor dem Arabischen Frühling war, dann würde es wieder schwieriger. Aber das ist im Moment nicht der Fall.

STANDARD: Die Katar-Krise wird bald ein halbes Jahr alt, und bisher sind alle Vermittlungsbemühungen, auch jene der USA, gescheitert. Wie geht das weiter?

Valeri: Kuwait versucht noch immer zu vermitteln – sie sind da am aktivsten –, aber sie scheinen nicht sehr erfolgreich zu sein. Das liegt auch daran, dass, anders als es Saudi-Arabien erwartet hat, Katar noch in keinen gröberen Schwierigkeiten ist. Natürlich leidet das Emirat unter dem Embargo und unter dem Einreiseverbot für seine Bürger in einige Länder der Region, aber wirtschaftlich bewältigt Katar die Situation. Die Probleme sind nicht so groß, wie sich das Saudi-Arabien und die VAE vorgestellt haben. Es ist nie leicht Voraussagen zu treffen, aber meiner Meinung nach kann das noch lange so weitergehen: zwei Seiten, von denen keine Konzessionen macht, und beide versuchen, Druck auf den anderen auszuüben. Eine Art kalter Krieg, und er könnte Monate oder auch Jahre dauern.

STANDARD: Der katarische Emir klagt über saudische "regime change"-Pläne. Wie ernst muss man das nehmen? Immerhin haben sich ja doch auch Personen aus dem katarischen Herrscherhaus auf die saudische Seite geschlagen.

Valeri: Es ist nur insofern ernst zu nehmen, als es ja nicht das erste Mal in der Geschichte wäre, dass die Saudis versuchen, den katarischen Emir zu stürzen. Das hat es ja in den 1990ern auch schon einmal gegeben. Aber die Karten, die die Saudis momentan ausspielen, sind ziemlich schwach. Die Mitglieder der herrschenden Familie, die sie benützen wollen, haben keine Unterstützung, sie sind ziemlich isoliert. Der Großteil der Bevölkerung folgt dem Narrativ des Emirs: Wir sind ein kleines Land, das dem Druck der Nachbarn standhält, wir müssen zusammenhalten. Das heißt, der katarische Herrscher ist innerhalb des Landes nicht in Schwierigkeiten. Es ist nicht wahrscheinlich, dass er gestürzt wird.

STANDARD: Sie sind ein ausgewiesener Spezialist für den Oman: Wie steht der Oman zur Katar-Krise?

Valeri: Wirtschaftlich profitiert der Oman von der Krise: Das Land hat einen Teil der Geschäftsbewegungen geerbt, die Katar zuvor etwa in Dubai laufen hatte. Jetzt verlagert sich das in die omanischen Häfen von Maskat und Suhar. Auch die Importe aus dem Oman nach Katar sind stark gestiegen. Politisch ist zu sagen, dass die Omanis viel weniger in Vermittlungsversuchen engagiert sind als üblich, aber sie unterstützen Kuwait. Bei anderen Krisen war Oman viel aktiver, zum Beispiel bei der US-iranischen Annäherung beim Atomdeal, oder auch im Jemen. Diesmal spielen sie eine sehr begrenzte Rolle. Aber ihre Position ist, dass regionale Instabilität eine Gefahr für ihre eigene Stabilität darstellt. Alles, was die Region unsicher macht, kann Auswirkungen auf die Sicherheit des eigenen Regimes haben.

STANDARD: Warum tun sie dann nicht mehr?

Valeri: Ich glaube, dahinter steckt, dass Saudi-Arabien und die VAE Oman in dieser Sache gar nicht vertrauen würden. Sie vertrauen dem Emir von Kuwait, aber nicht dem Sultan von Oman, gegen den sie einiges vorzubringen haben, etwa was seine Rolle im Jemen oder visàvis Teheran anbelangt. Sie wären nicht bereit, ihn als Vermittler zu akzeptieren.

STANDARD: Wie stabil ist der Oman? Die Vehemenz der Proteste im Rahmen des Arabischen Frühlings 2011 hat doch überrascht.

Valeri: Innerhalb des omanischen Regimes gibt es dieses inhärente, ständige Gefühl der Verwundbarkeit. Das kommt aus der Vergangenheit, dem Dhofar-Krieg in den 1970ern, hat aber auch mit dem Bewusstsein zu tun, dass Oman eine relativ kleine Wirtschaftsmacht ist, wenn man es mit Saudi-Arabien, den Emiraten oder auch dem Iran vergleicht. Es gibt eine Menge Konflikte und schwierige Staaten rundherum, die destabilisierend wirken können, vom Jemen im Süden bis zu Pakistan im Norden. Die Überzeugung ist, dass alles, was rundherum passiert, Auswirkungen innerhalb des Oman haben kann.

Man kann nicht sagen, dass der Oman instabil ist, aber eine gewisse Angst unter der Bevölkerung, aber auch von einigen höheren Offiziellen steigt, nämlich was die Zeit nach Sultan Qabus anbelangt. Es gibt dazu so viele offene Frage: die Nachfolge, die Legitimität des neuen Herrschers, die kommenden Reformen… Das löst bei vielen Zukunftsängste aus. Die wirtschaftliche Lage momentan ist sehr angespannt, und alle Gründe, alle großen strukturellen Ursachen für die Proteste von 2011, sind noch immer da oder sogar stärker als damals. Die wirtschaftliche und soziale Lage, das Gefühl einer weitverbreiten Korruption, die offene Nachfolge, kein Regierungschef: Das alles führt dazu, dass sich die Kritik nun direkt gegen den Sultan richtet, es gibt keine Ventile oder Puffer, wie etwa prominente Minister es sein könnten. Ich glaube trotzdem nicht, dass es eine Umsturzgefahr gibt. Aber die Menschen nehmen den Sultan als sehr krank wahr, von der Realität und dem echten Leben mittlerweile weit entfernt, und das ist natürlich problematisch.

STANDARD: Führt der Sultan eigentlich noch selbst die Geschäfte?

Valeri: Ich glaube nicht, dass er mit den täglichen Geschäften noch viel zu tun hat, aber das dürfte schon länger so sein, auch schon vor 2011. Man muss sich auch vor Augen halten, dass er 47 Jahre an der Macht ist. Manche Regierenden verlieren schon nach einer viel kürzeren Zeit den Bezug zur Realität. Beim Sultan ist das bestimmt der Fall. In seinen letzten öffentlichen Auftritten wirkte er sehr schwach und zerbrechlich. Es ist ziemlich sicher, dass er die täglichen Entscheidungen nicht mehr trifft. Was aber das wahre Problem ist: Nur sehr wenige halten sich für autorisiert, Entscheidungen ohne seine Zustimmung zu treffen. Sie zögern, etwas zu tun, die Initiative zu ergreifen. Das ist schon seit dem Arabischen Frühling so. Es gibt ganz wenige strukturelle Entscheidungen, alle sind sehr vorsichtig. Niemand übernimmt die Führerschaft und sagt: Wir brauchen starke Reformen. Denn keiner will seine eigene Zukunft kompromittieren.

STANDARD: Die Situation ist also als Lähmung zu beschreiben.

Valeri: Das beste Beispiel ist die "Oman Vision 2040", die 2011 ausgerufen wurde. Das Wirtschaftsministerium wurde damals aufgelöst und von einer "Economic Vision 2040"-Institution ersetzt. Sie wird von einem Cousin des Sultans geführt. Aber sie hat, seit es sie gibt, noch kein einziges substanzielles strategisches Dokument produziert.

STANDARD: Wie sehen Sie die religiöse Situation im Land: das Verhältnis des eigenen omanischen Islam, des Ibadismus, zur Sunna? Und was denkt man über die Veränderungen im wahhabitischen Saudi-Arabien, wo Kronprinz Mohammed bin Salman quasi den moderaten Islam ausgerufen hat? Die Ibaditen sind ja auch von den strengen Wahhabiten unter Druck.

Valeri: Es gibt keine omanischen Angaben über Religion im Oman. Laut CIA sind etwa 75 Prozent der Omanis Ibaditen – und diese Zahlen sieht man auch in den Medien. Aber sie stimmen nicht. Das Verhältnis ist eher ungefähr 50:50 zwischen Sunniten und Ibaditen. Es gibt auch noch eine kleine Minderheit von Schiiten von zwei Prozent, aber sie wenige, aber wirtschaftlich stark, in Maskat konzentriert und dem Regime nahe stehend. Aber der offizielle Islam, angefangen vom Religionsministerium, ist Ibadi-dominiert. Die meisten religiösen Funktionäre, etwa der Mufti, sind Ibaditen. Das erzeugt Probleme, denn die Sunnis vor allem in der geografischen Peripherie des Landes haben den Eindruck, dass sie nicht Teil des Narrativs über den Islam im Oman und der omanischen nationalen Identität sind.

Dass der saudische Kronprinz jetzt einen moderaten Islam propagiert: Die Omanis warten da erst einmal ab. Man wird sehen, ob es signifikante Veränderungen gibt, oder ob es sich eher um eine Strategie des Kronprinzen handelt, der dabei ist, seine eigenen Machtstrukturen und seine Legitimität aufzubauen. Die von ihm präsentierten wirtschaftlichen Reformpläne sind jedenfalls ein Déjà vu. Das alles wurde im Königreich schon seit Jahren gesagt, es enthält keine wirklichen Antworten auf die wirtschaftlichen und sozialen strukturellen Probleme. Es sind die üblichen Geschichten von Unternehmensberatern wie McKinsey, eine neoliberale Politik, die im Nahen Osten vor 15, 20 Jahren Einzug hielt und die zum arabischen Frühling geführt haben.

STANDARD: Aber Mohammed bin Salman legt sich auch ernsthaft mit dem ultrakonservativen saudischen Klerus an.

Valeri: Das stimmt, aber er tut das auch, weil er weiß, dass er dabei die Unterstützung von vielen aus der jüngeren Generation der Herrscherfamilie hat. Sie sind einverstanden mit seinem großen Projekt, bei dem sie auch finanziell profitieren werden. Aber es ist zu erwarten, dass zu einem gewissen Zeitpunkt wieder eine Balance hergestellt werden wird, dass man versuchen wird, die wahhabitische Geistlichkeit wieder zu beschwichtigen. (Gudrun Harrer, 5.11.2017)

Marc Valeri ist Professor für Politische Ökonomie und Direktor des Zentrums für Golfstudien an der University of Exeter. Über den Oman hat erb das Buch "Oman. Politics and Society in the Qaboos State" (Oxford, 2013) veröffentlicht.
Foto: University of Exeter