In Saudi-Arabien bleibt derzeit kein Stein auf dem anderen. In einer seltenen Eintracht bezeichnen sowohl dessen Befürworter als auch dessen Gegner den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman als treibende Kraft hinter den spektakulären Ereignissen im Königreich. An einem Tag sagt MbS, wie er genannt wird, dem ultrakonservativen islamischen Klerus den Kampf an. Alle Analysten sind sich daraufhin einig, dass er dafür die Unterstützung der modernen, international vernetzten Eliten im Herrscherhaus und in der Gesellschaft brauchen wird. Aber am nächsten Tag lässt MbS Dutzende gerade aus dieser Schicht einsperren, wegen Korruption.

Der Königssohn Mohammed bin Salman ist 32 Jahre alt, Kronprinz und Verteidigungsminister, kontrolliert die innere Sicherheit und die Wirtschaft – und den Zugang zu seinem alten, kranken Vater. Bis vor gut zwei Jahren war MbS weitgehend unbekannt, heute ist er der mächtigste Mann im Königreich. Aber das wirklich Besondere an der Situation ist, dass MbS mit der Politik des Interessenausgleichs zwischen und innerhalb des religiösen Establishments, der wirtschaftlichen Eliten und sogar der Königsfamilie Schluss macht. Der Konsens war der Kitt, der ein System zusammenhielt, das von außen immer völlig anachronistisch wirkte. Der Kronprinz will nun dieses System radikal verändern, und zwar alleine und sofort. Nicht mit den Eliten, zu denen er ja selbst gehört, sondern gegen sie.

"Impulsiv, unberechenbar"

Damit mag man durchaus sympathisieren – aber es ist eben die Hochrisikopolitik jenes Stils, der dem Kronprinzen, damals noch Vizethronfolger, schon vor zwei Jahren in einem Bericht des deutschen Bundesnachrichtendiensts den Befund "impulsiv, unberechenbar" eintrug. Genau so schlitterte Saudi-Arabien ins militärische Abenteuer im Jemen und in die diplomatische Eskalation mit Katar, beides Sackgassen.

Von den Reformen, die sich MbS für Saudi-Arabiens Wirtschaft und Gesellschaft vorstellt, ist in Wahrheit wenig bekannt: Die Slogans kommen von Unternehmensberatern und PR-Firmen, und er weiß auch, was man im Westen hören will – etwa wenn er eine Öffnung und Moderation des Islam im wahhabitischen Königreich propagiert. Wenn nicht gleichzeitig auch moderate und liberale Kräfte im Gefängnis sitzen würden, wäre das glaubhafter.

Davon, dass MbS ein paar Reiche und Mächtige auffliegen lässt, mag er sich Zustimmung von unten erwarten: Es trifft nicht nur kleine Fische, und vielleicht werden ein paar beschlagnahmte Millionen umverteilt, denn das Geld ist – durch die eigene Ölpreispolitik – knapp. Keine Frage, dass den Festgenommenen etwas vorzuwerfen sein wird: Das ist in einem Land, in dem Ämter wie Pfründe verteilt und verwaltet werden und Mitschneiden zur Geschäftskultur gehört, keine Kunst. Aber auch wenn man MbS den Wunsch nach Veränderung abnimmt: Es ist völlig unklar, welche Konsequenzen er für sich selbst und die absolute Monarchie, die er erben will, zieht. Vermutlich keine. (Gudrun Harrer, 5.11.2017)