Es ist Zeit, einen ernsthaften Dialog in Gang zu setzen.

Foto: apa/dpa/Britta Pedersen

#MeToo hat sowohl international als auch national eine regelrechte Welle an Enthüllungen hervorgebracht: So führten Vorwürfe der sexuellen Belästigung beispielsweise zum Rücktritt des britischen Verteidigungsministers Michael Fallon und auch zur Trennung der Plattform Netflix von Schauspieler Kevin Spacey. In Österreich kamen solche Beschwerden ebenfalls zu Tage; nicht zuletzt Peter Pilz entschied sich aufgrund ähnlicher Vorwürfe, sein Mandat zum Nationalratsabgeordneten nicht anzunehmen.

Durch #MeToo scheint uns Frauen ein Forum gegeben zu werden, um unseren Frustrationen mit Sexismus, vor allem in der Arbeitswelt, freien Raum zu geben. Parallel dazu gibt es auch im arabischen Raum erfreuliche Entwicklungen im Hinblick auf Frauenrechte: Früher ein gefährliches Wagnis, dürfen nun bald Frauen in Saudi-Arabien legal mit dem Auto fahren.

Diese Gegenüberstellung an globalen Entwicklungen offenbart aber auch ein Paradoxon: Während sich Frauen in der westlichen Welt öffentlich über sexuelle Belästigungen beschweren, wird die lang erwartete gesetzliche Erlaubnis, als Frau in Saudi-Arabien ein Fahrzeug zu steuern, regelrecht gefeiert. In der westlichen Welt hingegen ist es geradezu denkunmöglich, Frauen die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Österreichische Disparität

Ein solches Paradoxon ist allerdings auch in der österreichischen Gesellschaft zu beobachten: Eine der Hauptbefürchtungen in Hinblick auf die Flüchtlingskrise war die Ankunft einer hohen Anzahl junger, muslimischer Männer und deren Frauenbild. Nicht zuletzt die Vorfälle in Köln in der Silvesternacht 2015/2016 haben diese Ängste weiter beflügelt. Sieht man sich allerdings Reaktionen auf Vorwürfe der sexuellen Belästigung im Inland genauer an, so überwiegen Verharmlosungen und Beschönigungen.

Als Beispiel eignen sich Anschuldigungen der politischen Intrige, die in Bezug auf die Vorwürfe gegen Pilz erhoben wurden. Auch Fragen wie "Warum kommt diese Frau erst Jahre später damit hervor?" beherrschen die gesellschaftspolitische Debatte. Dass sexuelle Belästigung, vor allem von einem "alten, mächtigen Mann", wie sich Pilz selbst bezeichnete, bei Frauen Scham auslösen, und dies vor allem bei jungen, beruflich aufstrebenden Frauen, wird dabei dezent missachtet. Es ist durchaus vertretbar, dass #MeToo hier den Anstoß gegeben hat, an die Öffentlichkeit zu treten. Weiters liest man in den zahlreichen Kommentaren zu den entsprechenden Artikeln allzu oft, dass sich Frauen wehren können – und wie man doch solche Avancen abwimmeln könne. Ab und zu wird ebenfalls vorgebracht, dass jedem Mann schon die ein oder andere unangebrachte Wortmeldung entflohen sei.

Unterschiedliche Maßstäbe in der Wertedebatte

Ein Fazit dieser Gegenüberstellung zeigt, dass in Österreich eine Disparität im Hinblick auf die #MeToo-Bewegung zu herrschen scheint: Während eine schiere Möglichkeit der Frauenfeindlichkeit aufgrund der oft vorgebrachten Unvereinbarkeit "islamischer Werte" mit "österreichischen Werten" weitgehend gesellschaftlich angeprangert wird, scheint vor der eigenen Haustür mit anderen Maßstäben gekehrt zu werden. Denn hier erscheint es so, als ob Vorwürfe der sexuellen Belästigung unzureichend Ernst genommen werden. Sind das wirklich die "österreichischen Werte", die "hochzuhalten" sind?

Anstoß für gesellschaftliche Generalüberholung

Wie schon eingangs angeführt, ist #MeToo als Bewegung, die Frauen ein Forum, aber sicherlich auch den Mut, gibt, mit ihren Erfahrungen ans Tageslicht zu treten, gesellschaftlich wertvoll. Auch die globalen Entwicklungen sind, wie schon erwähnt, durchaus optimistisch. Allerdings kann all dies nur ein Anfang sein, nicht aber ein Ende – es sollte ein Anstoß für die österreichische Gesellschaft sein, über Gleichstellung und Frauenrechte nachzudenken: Wie gehen wir als Kollektiv mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung jeglicher Art um und, viel wichtiger, wie können wir diese verhindern? Welche Art von Frauenbild herrscht in Österreich und welches Frauenbild ist wünschenswert? Wie wirkt sich dieses Frauenbild auf die seit Jahrzehnten herrschende Disparität im Hinblick auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit aus? Und noch weitergehender, wie gehen wir mit dem Frauenbild anderer Kulturen um? Welche Schritte können wir beispielsweise setzen, um gezielt gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) umzugehen?

Gerade für solche Überlegungen, die zu einer gesellschaftlichen Generalüberholung führen könnten, ist #MeToo ebenso wertvoll, wie für die oben erwähnte Möglichkeit, die es Frauen gibt, ihrer Frustration Raum zu geben. Es ist Zeit, einen ernsthaften Dialog in Gang zu setzen – eine ernsthafte Entwicklung in der österreichischen Gesellschaft, um endlich tatsächliche Gleichheit zwischen Mann und Frau zu schaffen. (Andrea Raab, 8.11.2017)