Wien – Hazratullah war 17, als ihm seine Eltern Geld in die Hand drückten, um zusammen mit einem Freund aus Afghanistan zu flüchten. Die Familie befand, dass das Leben in dem umkämpften Land für ihn besonders gefährlich sei, weil er gehörlos ist. "Ich habe nie die Warnsignale gehört", erzählt er dem STANDARD.

Hazratullah, 19, kommt aus Afghanistan. In seiner Heimat konnte sich der Gehörlose nicht verständigen. Jetzt lernt er die Gebärdensprache.
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Seit zwei Jahren lebt Hazratullah nun in Österreich, mittlerweile ist er volljährig. Derzeit wartet er auf die Entscheidung der Asylbehörde, ob er in Österreich bleiben darf.

"Ich konnte nie kommunizieren"

In Afghanistan hatte Hazratullah die Schule aufgrund der vielen Anschläge nur sporadisch besucht. Er hatte keine Möglichkeit, die Gebärdensprache zu erlernen. Es war seine hörende Mutter, die die "Hausgebärden" ihres Sohnes – so nennt man selbsterfundene Gebärden, die nicht den Konventionen der Gebärdensprache entsprechen – für seine Freunde übersetzte.

"In Afghanistan konnte ich nie kommunizieren", erzählt Hazratullah. Er sei oft einsam und traurig gewesen. Mit 13 Jahren begann er im Betrieb seines Vaters das Bäckerhandwerk zu erlernen, sonst sei er meistens daheim gewesen. Seit einem Jahr lernt er nun die Österreichische Gebärdensprache, aber auch die deutsche Schriftsprache beim Schulungs- und Beratungsinstitut Equalizent in Wien.

Für Hazratullah bedeutet das, dass er sich erstmals in seinem Leben überhaupt mitteilen kann. Er sei jetzt ein glücklicher Mensch, erzählt er. Dass seine Familie in Afghanistan geblieben ist, bedrückt ihn. Hazratullahs Kurs wird derzeit ausschließlich über private Spenden finanziert.

"Bin immer nur zu Hause gesessen"

Karima ist 45 Jahre alt. Sie kommt aus Syrien, wo sie nie zur Schule ging. Jetzt lernt sie die Gebärden- und die deutsche Schriftsprache.
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Karimas Geschichte ist ähnlich. 2012 kam die heute 45-jährige Syrerin nach Österreich, in ihrer Heimat hatte sie mit Haareschneiden und Augenbrauenzupfen zum Familieneinkommen beigetragen. "Ich war nicht in der Schule, ich bin immer nur zu Hause gesessen", erzählt sie.

Erst seit sie in Österreich die Gebärdensprache lernt, kann Karima sich mitteilen. Zuvor versuchte sie sich "mit Händen und Füßen" verständlich zu machen. Die Gebärdensprache lernt die Mutter zweier Kinder erst seit zwei Jahren. So wie Hazratullah war auch Karima lange nicht bekannt, dass es hierzulande Angebote gibt, die Gebärdensprache zu lernen.

Schlechte Datenlage

Sowohl Karima als auch Hazratullah sind zufällig auf die Kursangebot gestoßen. Weder die Statistik Austria noch das Innenministerium konnten auf Anfrage des STANDARD Auskunft darüber geben, wie viele Asylwerber und anerkannte Flüchtlinge mit Behinderung in Österreich leben.

Nur so viel ist aus dem Innenministerium zu erfahren: Von den rund 63.000 Menschen in Grundversorgung sind derzeit 20 in Sonderbetreuungseinrichtungen des Bundes untergebracht, etwa weil sie blind oder auf den Rollstuhl angewiesen sind.

Aussagekräftige Daten fehlen

Der im Sozialministerium ansässige Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention kritisierte sowohl 2015 als auch 2016, dass in der österreichischen Asylstatistik keine aussagekräftigen Daten über Flüchtlinge mit Behinderung erhoben werden. Das erschwere die Planung und Budgetierung entsprechender Maßnahmen, darunter barrierefreie Unterkünfte, Sprachkurse für Flüchtlinge mit unterschiedlichem Kommunikationsbedarf, Therapien, Rehabilitationsmaßnahmen und die Bereitstellung inklusiver Bildungsangebote.

Erhöhter Betreuungsbedarf

Laut Diakonie – ein wichtiger Player in der Flüchtlingsunterbringung – stellt sich oft erst bei der Betreuungsarbeit heraus, dass Personen mehr gesundheitliche Betreuung brauchen. In der Regel sei es sehr mühsam, dass der Sonderbetreuungsbedarf auch tatsächlich anerkannt wird. Quartiergeber erhalten derzeit pro Person und Tag 21 Euro für die Grundversorgung eines Asylwerbers. Bei erhöhtem Betreuungsbedarf sind es 44 Euro.

Dieser muss durch fachärztliche Befinde nachgewiesen werden. Wird ein erhöhter Betreuungsbedarf zuerkannt, müssen Bund oder Länder eine höheren Tagessatz entrichten. Bei der sind Diakonie sind derzeit rund 1.500 Flüchtlinge in Grundversorgung untergebracht. 100 davon haben körperliche Behinderungen beziehungsweise schwere somatische Erkrankungen.

Behinderung in humanitären Krisen

Laut der Women's Refugee Commission hatten 13 Millionen der weltweit 66 Millionen Geflüchteten im Jahr 2016 Behinderungen. Die Zahl jener, die in humanitären Krisen aufrund von Behinderung besondere Unterstützung benötigen, ist also relativ hoch. Das hat auch die Uno erkannt und deshalb im Zuge des Humanitären Weltgipfels 2016 die Charta über die Inklusion von Menschen mit Behinderung in der humanitäre Hilfe verabschiedet. Die Charta gilt als fachlicher Wegweiser für inklusive humanitäre Hilfe.

Neben den wichtigsten Akteuren der humanitären Hilfe bekennen sich zu dieser Vereinbarung Länder wie Frankreich, Deutschland und Australien. Österreich fehlt auf der Liste der Unterstützer. Auf Anfrage des STANDARD heißt es dazu im Außenministerium: "Zur Unterzeichnung der Charta läuft derzeit noch ein innerstaatlicher Konsultationsprozess unter Einbeziehung der Bundesländer." (Katrin Burgstaller, 21.11.2017)