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Flugschalter in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen. Fliegen ist für 8,61 Millionen Chinesen, die auf der nationalen Schuldnerliste stehen, verboten.

Foto: Reuters/Staff

Die elegante Geschäftsfrau Zhang wies sich mit Reisepass aus und kaufte ein Erste-Klasse-Ticket am Schalter. Dann ging sie an Bord ihres innerchinesischen Luxusflugs. Als sie 150 Minuten später am 13. Oktober in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen landete, wartete die Polizei auf sie. Tags darauf verurteilte sie ein Gericht zu 15 Tagen Haft und 100.000 Yuan (15.000 Euro) Geldbuße.

Der Grund: Sie hatte gegen ihr Flugverbot verstoßen. Zwei Jahre zuvor war gegen Frau Zhang Zwangsvollstreckung angeordnet worden, weil sie ihre Firmenschulden in Höhe von fast einer Millionen Euro nicht zurück zahlte. Das Gericht ächtete sie online und stellte sie in die Gruppe "zahlungsunwilliger Schuldner", die im Volksmund "Laolai" genannt werden, schrieb Chinas Rechtszeitung. Wer auf dieser Schwarzen Liste steht darf weder fliegen, noch mit Highspeed-Bahnen fahren, bis er seine Schulden zurückgezahlt hat. Das Gericht ließ Frau Zhangs Personalausweis im "Laolai-Netz" registrieren, das mit den Datenbanken für Tausende Geldinstitute, Polizeistellen bis zu Bahn- und Luftfahrtgesellschaften verbunden ist. Frau Zhang gelang es, ein Ticket mit ihrem Reisepass zu kaufen. Doch das System erkannte ihren Namen.

8,61 Millionen auf Schuldnerliste

Die erwischte Reisende ist eine von inzwischen 8,61 Millionen Chinesen, die auf der nationalen Schuldner-Liste stehen, meldete das Oberste Volksgericht (SPC) Anfang November. Seit 2013 hat es das System aufgebaut. Es wirkt bereits. Bis Ende September zahlten 1,1 Millionen Laolai ihre Schulden zurück, nur um von der Liste zu kommen. Lokale Gerichte sorgen inzwischen dafür, dass die Mobiltelefone hartnäckiger Schuldner mit Ansagen Anrufer warnen müssen: "Sie sind mit Jemandem verbunden, der unter Zwangsvollstreckung steht."

Obwohl die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen mit Füßen getreten werden, loben viele Chinesen das rabiate Strafregime gegen säumige Schuldner. Sie übersehen, dass es der erste Baustein für einen von Peking geplanten, digitalisierten Überwachungsstaat ist. China will ein umfassendes Kontroll- und Klassifizierungssystem für seine Wirtschaftsunternehmen, für seine Institutionen und Ministerien und für seine 1,3 Milliardenbevölkerung einführen. Die Bürger sollen mit Belohnungen und Strafen zu einem normativen und moralischen Verhalten erzogen werden. Mit sogenannten Sozialkreditpunkte wird jeder Einzelne bewertet. Wer etwa Nachbarschaftshilfe leistet, sich um die Eltern kümmert, die Umwelt schützt erhöht damit auch sein Online-Positivkonto. Falsches Parken, Müllen, oder Teilnahme an wilden Streiks und "Verbreitung von Gerüchten" im Internet schlagen negativ zu Buch.

43 Pilotprojekte

Das klingt harmlos. Doch der Punktestand soll künftig nicht nur über die Kreditfähigkeit, sondern auch über Beförderungen, den Arbeitsplatz sowie über Ruf und Ansehen des Betroffenen entscheiden.

Noch sind es Visionen, die in 43 Pilotprojekten in ausgewählten Städten auf ihre Machbarkeit erprobt werden. Im Juni 2014 hatte der Staatsrat seine erste Blaupause unter dem Titel "Aufbau eines Sozialkreditsystems 2014 bis 2020" erlassen. Die 20-Seiten-Verordnung forderte dazu auf, überall ein Kreditbewertungssystem aufzubauen von Wirtschaft und Handel über soziale Sicherheit, Erziehung und Sport bis zum Internet und auch juristischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereichen. Die Frage nach dem Datenschutz war kein Thema.

Inzwischen folgten Ausführungsbestimmungen dazu, wie Sozialpunkte an den Einzelnen vergeben werden und wie Bewertungssysteme vereinheitlicht werden können, sagte Lian Weiliang, stellvertretender Leiter der Wirtschaftsplanungs- und Reformkommission (NDRC), der Zeitschrift "Caijing". Für das Projekt werde die Regierung neue Gesetze und Maßstäbe erlassen, um den rechtlichen Rahmen zu seiner Einführung ab 2020 zu setzen.

100. Geburtstag

Zeitpunkt für die Umwandlung der Gesellschaft in fast Orwell'schen Ausmaßen ist der 100. Geburtstag der 1921 gegründeten Kommunistischen Partei. 2020 ist die erste von drei geplanten Etappen, die Parteiführer Xi Jinping anpeilt, um bis 2050 die Wiederbelebung seiner Nation als Weltmacht bewerkstelligen zu können. Bei der Eröffnung seines 19. Parteitags verlangte er nach einem "digitalen China und einer smarten Gesellschaft". Im April hatte er als Chef der Zentralgruppe Cybersicherheit gefordert, "das Internet, die großen Datenbanken und die künstliche Intelligenz mit der Realwirtschaft tiefgehend zu verbinden". Ziel sei eine "digitale Seidenstraße des 21. Jahrhunderts".

Sowohl staatliche als auch privatwirtschaftliche Internetgesellschaften entwickeln die Hightech-Instrumente für das neue Kontrollregime. Immer bessere Software macht China zum Marktführer bei der Gesichts-, Stimm- und Bewegungserkennung. Auch mit mehr als 20 Millionen installierten Beobachtungskameras, die mit Datenbanken verknüpft sind, ist China weltweit Nummer eins. Der E-Kommerz-Riese Alibaba und die Tencent-Gruppe mit ihrem Kurznachrichtendienst Weibo und mit Chinas We Chat haben eigene Sozialpunktsysteme über ihr Kundenverhalten erstellt. Sie sammeln gigantische Datenmengen an.

"Digitaler Leninismus"

Der Leiter des Merics-China-Forschungsinstituts, Sebastian Heilmann, nennt die Verknüpfung der alten Organisationsmuster der Partei mit moderner IT-Technologie "digitalen Leninismus". Die KP versuche ihren Traum vom chinesischen Menschen, geformt durch den Willen der Partei, zu beleben und zugleich in jeden Winkel von Wirtschaft und Gesellschaft hineinblicken zu können. "Der Aufbau eines sozialen Kreditsystems ist dafür eine ebenso raffinierte wie bahnbrechende Methode."

Die Freiräume werden unter dem Sozialpunktesystem immer enger. Auch virtuell: Xi ließ auf seinem Parteitag keinen Zweifel daran, was er auch online vorhat: "Wir werden ein System des integrierten Internetmanagements einführen, um uns so einen sauberen Cyberraum zu sichern." (Johnny Erling aus Peking, 6.11.2017)