Bild nicht mehr verfügbar.

Fotografiert werden? Lieber nicht! David Sedaris ist kamerascheu. Dieses Foto ist vor 20 Jahren entstanden. Sedaris größte Bucherfolge: "Nackt" und "Nachtprogramm".

Foto: Getty Images / Suzanne Opton

David Sedaris, "Wer's findet, dem gehört's – Meine Tagebücher und ich", ist bei Blessing erschienen.

Cover: Blessing

STANDARD: Sind Sie glücklich mit Ihrem jetzigen Leben?

David Sedaris: Grundsätzlich ja, auch wenn manchmal Zwänge mein Leben übernehmen und umkrempeln.

STANDARD: Seit Ihrer Kindheit plagen Sie solche Störungen. Als Junge berührten Sie beispielsweise sieben Mal die Eingangstür mit dem Ellbogen, erst dann gingen Sie in die Wohnung hinein.

Sedaris: Jetzt ist es so, dass ich wie besessen Müll sammle. Wenn ich im Bett liege, frage ich mich, ob der Kaffeebecher, den ich nachmittags am Straßenrand gesehen habe, noch dort liegt. Nach Mitternacht gehe ich aus dem Haus und gehe die Straßen entlang, die tagsüber zu befahren sind. Zwei, drei Stunden sammle ich auf, was ich kriegen kann. Vollkommen bescheuert, oder?

STANDARD: Wenigstens ist es konstruktiv.

Sedaris: Ich kann einfach nicht aufhören. Das begann vor vier Jahren, als mein Partner Hugh und ich von London raus nach West Sussex gezogen sind. Eine wunderschöne Landschaft, aber jeder Autofahrer schmeißt seinen Abfall aus dem Wagen. Jeden Tag verbringe ich insgesamt acht Stunden damit, Abfall vom Straßenrand aufzulesen.

STANDARD: Was ist mit Ihrem richtigen Job: dem des Schriftstellers?

Sedaris: Meine Lektorin hat mich vor kurzem gebeten, ein Manuskript mit ihren Änderungen in zwei Wochen durchzugehen. Auf keinen Fall, habe ich geantwortet, das schaffe ich nicht. Wäre natürlich problemlos, würde ich nicht den ganzen Tag draußen auf der Straße verbringen. Ich habe inzwischen so viel Abfall gesammelt, dass meine Gemeinde einen Müllwagen nach mir benannt hat.

STANDARD: Herzlichen Glückwunsch!

Sedaris: Ich bin in den Buckingham Palace eingeladen. Nicht weil ich Schriftsteller bin, sondern als eifrigster Müllsammler Englands.

STANDARD: David, der Müllmann. Ist das die Vision, die Sie von sich hatten, als Sie 20 Jahre alt waren?

Sedaris: Damals wäre ich gern David Bowie geworden. Er sah fantastisch aus, und er konnte sich so gut ausdrücken. Das fällt besonders heute auf, wo wir einige Popstars haben, die unter keinen Umständen den Mund hätten aufmachen sollen. Madonna! Hat nie etwas Intelligentes gesagt. Kanye West! Sollte Redeverbot bekommen.

STANDARD: Wenigstens machen sie gute Musik.

Sedaris: Aber David Bowie konnte gut singen, tolle Lieder schreiben, und er war belesen dazu. Er war ein künstlerisches Gesamtpaket.

STANDARD: 1982 hatten Sie noch einen anderen Plan. In Ihrem Tagebuch schrieben Sie: Ich wäre gern gebildet und reif. Was ist daraus geworden?

Sedaris: Na ja, ich bin danach in Chicago ans College gegangen und habe Kunst studiert. Das bedeutet mir viel, weil ich vorher ein Studium abgebrochen hatte und jeder mir sagte, oh, du wirst es nie zu Ende bringen. Aber ich habe es geschafft.

STANDARD: Ihr erster Schritt, um ein besserer Mensch zu werden?

Sedaris: Ein besserer Schreiber. Darum ging es mir. Viele Bücher lesen, viel selber schreiben. Aber ein besserer Mensch? Jedes Silvester mache ich eine Liste mit Vorsätzen fürs neue Jahr. Es steht seit Jahren dasselbe drauf. Ich nehme mir vor, weniger über andere Menschen herzuziehen. Funktioniert nur leider nie.

STANDARD: Damit sind Sie berühmt geworden: einem gemeinen und lustigen Humor.

Sedaris: Wenn Sie mir eine Geschichte über Ihren fiesen Chef erzählen wollen, höre ich liebend gern zu. Aber bei einer Lobhudelei auf ihn schalte ich nach 30 Sekunden ab. Ich habe eine Freundin, die eine schlimme Mutter hat. Wenn wir uns treffen, frage ich als Erstes: Und wie geht es deiner Mutter?

STANDARD: Was ist denn so schlimm an ihr?

Sedaris: Meine Freundin wurde von einem Freund der Eltern sexuell belästigt. Und ihre Mutter blieb mit ihm und seiner Frau befreundet. Eine schreckliche Geschichte, ich könnte ewig so etwas hören.

STANDARD: Was halten andere Menschen von Ihnen?

Sedaris: Diese Frage musste ich mir kürzlich stellen, als ein Filmemacher eine Dokumentation über mich drehen wollte. Ich denke, ich bin ungeschickt, neugierig und jemand, der andere ein wenig ausnutzt, ohne hinterhältig zu sein.

STANDARD: Weil Sie aus dem Leid anderer den Stoff für Ihre Geschichten beziehen.

Sedaris: Das fand ich für einen Film nicht interessant genug und habe dem Regisseur abgesagt.

STANDARD: Man kann schon sagen, Sie haben es geschafft, von einem verarmten Künstler zu einem millionenschweren Autor zu werden.

Sedaris: Ich will einen Raum betreten und sehen, wie die Leute zueinander tuscheln: Das ist er! Und genau das tun sie, wenn ich nach einer Lesung in die Lobby gehe. Das ist für mich die größte Befriedigung, das habe ich mir immer gewünscht.

STANDARD: Hat Sie schon mal jemand angemacht, weil Sie ein Bestsellerautor sind?

Sedaris: Einmal ganz am Anfang meiner Karriere ist mir das passiert, also Mitte der 1990er-Jahre. Der Typ war seltsam, er beugte sich zu mir runter und flüsterte: Okay, Folgendes wird jetzt passieren, ich werde dich auf dein Hotelzimmer begleiten, ich werde dich ... na ja, Sie wissen schon. Ich schaute ihn an und wusste, nie im Leben.

STANDARD: Weil Sie sich nicht gut aussehend finden?

Sedaris: Stimmt, ich war nie glücklich mit meinem Aussehen. Obwohl ich rückblickend gar nicht so schlecht aussah mit 20. Ich wünschte, ich hätte das damals gewusst. Aber in North Carolina, wo ich Ende der 1970er-Jahre lebte, hatten Schwule einen Schnauzbart zu tragen, Jeans und ein bestimmtes Hemd, sie sahen wie geklont aus. Für mich war das eine Verkleidung, in der ich mich nicht wohlfühlte. Was mich leider nicht daran hinderte, genau solchen Männern hinterherzurennen. Am Ende habe ich sechs Jahre mit einem von ihnen verbracht. Er sagte einmal zu mir: Ich kann jede Bar betreten und weiß, dass ich der am besten aussehende Typ im ganzen Laden bin.

STANDARD: Klingt nach einem tollen Kerl.

Sedaris: Jetzt befriedigt mich der Gedanke, dass heute niemand mehr hinter ihm hertuschelt: Das ist er! Außer er wird zum Massenmörder und sein Gesicht taucht in jeder Nachrichtensendung auf.

STANDARD: Oder er lässt sich liften, um wieder attraktiv auszusehen.

Sedaris: Ein Freund von mir hat das gemacht. Er ist jetzt 60, wenn ich ihn ansehe, weiß ich nicht, wo ich hingucken soll. Es ist zu schmerzhaft für mich. Ich würde mich nie solchen Operationen unterziehen. Am liebsten würde ich mich direkt zu meinem 80. Geburtstag beamen. In dem Alter darf ich anziehen, was ich will.

STANDARD: Jetzt nicht?

Sedaris: Ich habe einen Schrank voller Klamotten, die ich nur am Schreibtisch trage. Jeden Morgen stehe ich vor der Garderobe und frage mich, was ich heute anziehen soll.

STANDARD: Zu Hause sieht Sie doch niemand.

Sedaris: Ich will ja nicht, dass mich Leute wegen meiner Kleidung auf der Straße anstarren, nur auf der Bühne dulde ich das. Verrückte japanische Designer wie Yamamoto oder Comme des Garçons gefallen mir. Vergangene Woche habe ich in Großbritannien gelesen und dazu ein Hemd getragen, das bis zur Hüfte reichte und an das ein knielanges Stück Stoff angenäht war. Sah aus wie eine Schürze. Oder ein taubenblau gestreiftes Jackett mit abgetrennten Nähten und dazu Culotten ...

STANDARD: ... also Kniebundhosen ...

Sedaris: ... den Look würde ich nie auf einer Hochzeit tragen, auf einer Lesung schon.

STANDARD: Sie sind ein Fashion-Freak.

Sedaris: Ich würde es nicht Mode nennen, wenn es außer mir niemand trägt.

"Würde es nicht Mode nennen, wenn es außer mir niemand trägt!" David Sedaris zu Gast bei Jimmy Fallon.
The Tonight Show Starring Jimmy Fallon

STANDARD: Heute haben Sie ein schwarzes Hemd an, das aussieht, als hätten Sie zwei übereinander an.

Sedaris: Comme des Garçons! Sie sind wahnsinnig gut darin, wenn es darum geht, reiche Menschen von ihrem Geld zu trennen und sich dabei interessant vorzukommen.

STANDARD: In England könnten Sie sich doch einen Maßanzug von der Savile Row holen.

Sedaris: Ein Maßschneider kam vergangenes Jahr zu einer meiner Lesungen und bot mir an, umsonst einen Anzug für mich zu machen. Ich weiß, dass der Preis bei 8000 Pfund aufwärts liegt, um nicht gierig zu wirken, einigten wir uns auf ein Jackett. Wir beratschlagten, welcher Stoff denn infrage käme. Ich erzählte ihm, dass ich bald nach North Carolina zu meiner Familie fahren würde, wo ich einen Laden kenne, der Zelte aus Restbeständen der Armee verkauft. Ganz begeistert fragte ich: Was wäre, wenn wir die alten Zelte für das Jackett verwendeten? Er nickte und sagte: Oder wir benutzen diese tolle italienische Kaschmirwolle hier.

STANDARD: Hilft Ihnen Kleidung, die Person zu werden, die Sie sein möchten?

Sedaris: Das klingt, als möchte ich eine Mauer zwischen dem Publikum und mir errichten. Und das will ich auf gar keinen Fall.

STANDARD: Mister Sedaris, Sie tragen unsäglich teure japanische Anzüge.

Sedaris: Normalerweise erkläre ich auf jeder Lesung, was ich trage. Sagen wir, ein in der Mitte auseinandergeschnittenes und unterschiedlich zusammengenähtes Jackett. Die Leute denken, ich spinne, wenn ich das erzähle. Von Comme des Garçons haben die 2000 Zuschauer im Saal noch nie gehört. Insofern denkt auch niemand, mein Gott, wofür verschwendet er sein Geld?

STANDARD: Woher kommt die Faszination für ausgefallene Kleidung?

Sedaris: Als ich in den frühen 1990er-Jahren in New York gelebt habe, bin ich immer auf Veranstaltungen wie "Recycling Night" gegangen und habe mir Klamotten ausgesucht. Ich finde es gut, wenn sich jemand anstrengt, etwas Besonderes zu erschaffen. Heutzutage sieht jeder in den Staaten so verdammt schlampig aus. Die Amerikaner lieben Kleidung, die man im Waschbecken reinigen kann und die nach 20 Minuten trocken ist. Es ist doch schön, wenn man sich für einen Restaurantbesuch hübsch anzieht.

STANDARD: Haben Sie ein Kleidungsstück, das Sie besonders lieben?

Sedaris: Im Moment wäre das ein Sportjackett von Comme des Garçons. Das Ding sieht so aus, als hätte eine extrem eifersüchtige Person das Jackett mit einer Schere zerfetzt, die Nähte und ein paar Stofffetzen hängen nur so runter. Der Regisseur John Waters hat einmal etwas sehr Treffendes über die japanische Marke gesagt. Wenn man seinen Anzug abends im Hotel in die Reinigung gibt, kommen morgens die Angestellten geknickt mit einem "Es tut mir so leid" aufs Zimmer. Weil sie glauben, sie hätten einen Fehler gemacht. Herrlich!

STANDARD: Die am besten angezogenen Menschen sind für Sie demnach ...

Sedaris: ... die Japaner, klar. Was ich an der dortigen Mode schätze: Es ist keine sexy Kleidung. Sie soll keine Rundungen betonen oder etwas zum Vorschein bringen. Allerdings mögen sie gar keine gebrauchte Kleidung. Da kommen die Japaner und ich nicht zusammen.

STANDARD: Was machen Sie mit Ihren alten Kleidern?

Sedaris: Ich habe Probleme damit, sie in einem dieser Wohlfahrtsläden abzugeben. Weil ich weiß, dass sich der Besitzer sofort mein Teil schnappt, sobald ich aus der Tür bin, und es privat teuer weiterverkauft. Wenn ich einen Auftritt habe, bringe ich meine alten Sachen mit und frage: Will jemand Knickerbocker von Comme des Garçons haben? Sie glauben gar nicht, was ich so alles losgeworden bin. Alte Fotos, Geschirr, Klamotten. (Ulf Lippitz, RONDO exklusiv, 4.1.2018)

Weiterlesen:

Robert Menasse: "Ich bedaure die Rechten"