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Er sei "nicht der Weihnachtsmann", sagte Emmanuel Macron jüngst auf Besuch in Neukaledonien, wo sich die Bewohner Subventionen aus Paris erwartet hatten. Viele Franzosen sehen es ähnlich.

Foto: Reuters / Christian Hartmann

Sogar Nicolas Sarkozy zieht den Hut: "Er ist wie ich, nur besser." Frankreichs Ex-Präsident sprach von Emmanuel Macron, der seit genau einem halben Jahr im Élysée-Palast amtiert. Erst 39-jährig, leitet der Newcomer die Amtsgeschäfte sehr souverän. Die Regierung und seine Partei La République en Marche kontrolliert er mühelos; bei internationalen Auftritten setzt er sich gekonnt in Szene; und dazu legt er ein beeindruckendes Reformtempo vor.

Bei der Arbeitsmarktreform dividierte er die Gewerkschaften und Linksparteien auseinander – und während Linkenchef Jean-Luc Mélenchon deprimiert eingesteht, dass ihn der Neue "geschlagen" habe, lanciert dieser bereits die nächsten Berufsbildungs- und Steuerreformen.

Das europäische Umland applaudiert, und das nicht nur wegen der konkreten Ankündigungen auf EU-Ebene. Macron brennt darauf, nach der Regierungsbildung in Berlin loslegen zu können. Ihm schwebt nichts weniger als eine "Renaissance Europas" vor. In Athen hielt er schon eine flammende Europarede, die in den Satz gipfelte: "Seht diesen Moment, den wir teilen: Es ist der Moment, von dem Hegel sprach. Der Moment, in dem Minervas Eule aufsteigt!" Nicht alle verstanden den Hinweis auf das Symbol der Weisheit – aber alle waren sie von dem Furor des jungen Europäers hingerissen.

Dennoch: In Umfragen sinkt Macrons Stern; derzeit haben nur noch 42 Prozent eine positive Meinung. Bei den Linkswählern verlor er innerhalb eines Monats über zehn Punkte, nachdem er die Vermögenssteuer für Millionäre abgeschafft hatte – und nun als "Präsident der Reichen" betitelt wird. Zuvor hatte er ebenso viele Sympathien bei Rechtswählern verloren: Die obere und urbane Mittelklasse verliert bei den Steuerreformen.

"Nicht der Weihnachtsmann"

Die in Frankreich so verhassten "réformes" erklären aber längst nicht zur Gänze, warum der schneidige Jungpräsident in seinem eigenen Land mehr geduldet als geliebt wird. Sein Charme wirkt jedenfalls nicht auf Frauen: Sie sind ihm laut Umfragen noch weniger gewogen als Männer. Offensichtlich kommt Macrons Stil nicht an. Mittlerweile bekannt sind seine herablassenden Sprüche über "Faulenzer" und "Analphabetinnen". Unlängst brachte er nach Französisch-Guayana Neusubventionen mit, machte aber alles zunichte, als er sagte, er sei "nicht der Weihnachtsmann".

Mehr und mehr wird der Präsident mit dem Klassendünkel der Pariser Eliten identifiziert, der Heiligenschein ist weg. Die Endlosdebatte, wo Macron politisch eigentlich steht – sein Reformkurs ist rechtsliberal, seine Europapolitik sozialdemokratisch –, geht am Wesentlichen vorbei: Macron ist in erster Linie ein Vertreter der Eliteverwaltungsschule ENA. Er steht, wie er sagte, "weder rechts noch links" – oder wie die Sozialistin Martine Aubry kommentierte, "weder links noch links". Denn er ist einfach ein Technokrat.

Wie all seine engsten Mitarbeiter, darunter der exkonservative Premierminister Édouard Philippe, hat Macron nach der ENA als Finanzinspektor begonnen. Wenn die beiden das Arbeitsrecht oder die Reichensteuer reformieren, dann tun sie das nicht mit politischen Argumenten, sondern um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen oder brachliegendes Kapital in die Wirtschaft umzuleiten.

Mit dem gleichen pragmatischen Ansatz dirigieren die ENA-Seilschaften den ganzen französischen Staat. Macron sieht sich selber auch nicht als Sonnenkönig oder Napoleon, wie er gerne karikiert wird, sondern als "premier de cordée" – als Erster der Seilschaft. Das Gefühl vieler Franzosen, von einer abgehobenen, abstrakt denkenden ENA-Kaste regiert zu werden, wird noch verstärkt durch Macrons Persönlichkeit. Der Ex-Banker verkörpert nicht die Vaterfigur eines Charles de Gaulle, Jacques Chirac oder François Mitterrand, sondern den brillanten, philosophisch geschulten Manager, der besser als die Wähler zu wissen glaubt, was sie wollen und brauchen.

Regieren ohne Volk

Macron würde wohl am liebsten ohne Volk regieren. Die pyramidal organisierte Macht des Zentralstaates mit dem Wahlmonarchen an der Spitze versucht er jedenfalls ständig auszuweiten. Wenn man von Macron eines nicht erwarten darf, ist es eine wirkliche Reform des französischen Staatswesens. Macron hat Glück: Jetzt zieht die Konjunktur an, das mindert wie von selbst die Arbeitslosenzahl – ein entscheidendes Kriterium. Der Präsident wird das natürlich seiner Arbeitsmarktreform zuschreiben, obwohl diese erst in mehreren Jahren greifen wird.

Selbst Sarkozy, der von Macrons erstem Halbjahr so beeindruckt ist, warnt allerdings: Der Präsident trete zu selbstsicher auf, das könnte in einem sozial weiterhin angespannten Land zu einer "politischen Eruption" führen. "Es wird schlecht enden", prophezeit der Ex-Präsident, dessen Amtszeit schlecht geendet hatte. Doch wenn einer nicht an seinem Schicksal zweifelt, dann ist es Macron. (Stefan Brändle aus Paris, 7.11.2017)