2016 und 2017 fanden zehn Märsche im Gedenken an die vor 75 Jahren in zehn Deportationen nach Maly Trostinec in den Tod geschickten Wiener Juden statt. Sie endeten beim Denkmal auf dem Judenplatz.

Foto: Robert Newald

Wien – In Wien erinnert eine im Boden eingravierte Inschrift am Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah auf dem Judenplatz an Maly Trostinec: an jenen nahe Minsk gelegenen Ort im heutigen Weißrussland, wo in der Nazizeit fast alle aus Wien deportierten Jüdinnen und Juden ermordet wurden – mehr als 10.000 Menschen. In der weißrussischen Hauptstadt Minsk gemahnt seit 2009 ein Gedenkstein im ehemaligen jüdischen Getto an sie.

In Maly Trostinec selbst hingegen, wo die weißrussische Regierung einen weitläufigen Memorialkomplex unweit des Wäldchens errichtet hat, in dem die Massenerschießungen stattfanden, wird ihrer bis dato nicht gedacht. Und so, wie es derzeit aussieht, wird das bis auf Weiteres auch so bleiben – obwohl der österreichische Nationalrat im Oktober 2016 einstimmig die Errichtung eines Grabmals in Maly Trostinec beschlossen hat.

Kern an Kurz

Grund dafür: Die Konkretisierung sowie Finanzierung des Projekts sind nach wie vor offen. Und die Frage, woher das Geld kommen soll, hat zu einem politischen Hin- und Hergeschiebe geführt, kritisiert der scheidende grüne Bildungssprecher Harald Walser auf Grundlage von parlamentarischen Anfragebeantwortungen.

Wenig ausführlich etwa fiel die Antwort von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) auf eine erste Grünen-Anfrage aus. Ende Juni hatten Walser und Kollegen wissen wollen, "ob das Bundeskanzleramt oder andere Ministerien" in Sachen "Umsetzung sowie Finanzierung der Errichtung eines würdigen Denkmals für die aus Österreich stammenden Opfer bei Maly Trostinec in irgendeiner Form tätig geworden" seien. "Diese Fragen betreffen den Vollzugsbereich des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres", ließ Kern am 29. August 2017 wissen.

Kurz an Kern

Wortreicher, wenn auch keineswegs ergebnisorientierter äußerte sich der damit Angesprochene, Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), nach einer weiteren Grünen-Anfrage vom 31. August 2017. Bei dem Mahnmal handle es sich um ein "gesamtösterreichisches Projekt zum Gedenken an österreichische Holocaustopfer", antwortete Kurz. Um es zu errichten, bedürfe es eines "unter Federführung des Bundeskanzleramts herbeizuführenden Grundsatzbeschlusses, insbesondere auch hinsichtlich der zur Verfügung zu stellenden Mittel", spielte er den Ball an Kanzler Kern zurück – und, so er selber Kanzler werden sollte, an sich selbst.

Sowohl Kern als auch Kurz hätten sich damit "über einen klaren Auftrag des Nationalrats hinweggesetzt", missbilligt das der Grüne Harald Walser: "Das ist eine Missachtung des Parlaments durch die Regierung", sagt er. "Besonders enttäuschend" sei das Wegdelegieren des Themas durch den bisherigen Regierungschef Kern. Denn es handle sich um eine Chefsache. (bri, 7.11.2017)