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Frauen halten den Einzelhandel am Laufen. Der Zuwachs an neuen Stellen basiert vor allem auf Teilzeitstellen. Derzeit wird um die Gehälter der 400.000 Mitarbeiter gerungen.

Foto: Reuters

Wien – Sie fühlen sich permanent überwacht. Der ständige Kundenkontakt stresst ebenso wie das andauernde künstliche Licht, und es fehlt an Rückzugsmöglichkeiten.

Es sind Belastungen wie diese, die vielen Beschäftigten im österreichischen Einzelhandel die Arbeit mehr als in anderen Branchen vergällen. Die meisten ließen sich einfach aus dem Weg räumen, ist Johann Kalliauer überzeugt, denn es sei vor allem der knappe Personaleinsatz der Betriebe, der ihren Mitarbeitern hart zusetze.

Der Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich lässt den Meinungsforscher Ifes regelmäßig die subjektive Befindlichkeit der Angestellten im Handel eruieren. Aktuell ist es um diese gar nicht einmal so schlecht bestellt: Der Anteil jener, die befürchten, den Job aufgrund der eingangs erwähnten Hürden nicht mehr bis zur Pensionierung durchzuhalten, liegt heuer nämlich klar unter dem Schnitt anderer Berufssparten.

Bessere Karrierechancen

Alles in allem ist die Zufriedenheit im Handel derzeit so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr, belegt der Arbeitsklimaindex. Seine Beschäftigten orten bessere Karrierechancen, und der psychische wie physische Druck sei spürbar gesunken. Kalliauer sieht dennoch vieles im Argen liegen – vor allem, was das Finanzielle betrifft.

Knapp zwei Drittel der Beschäftigten im Handel, es sind vorwiegend Frauen, kommen mit ihrem Einkommen kaum oder nur knapp aus, geht aus den jüngsten Umfragen hervor. In anderen Branchen sind dies nur 45 Prozent. Sehr gut von ihrer Arbeit leben können nur fünf Prozent. Ebenso viele gaben an, dass ihr Einkommen nicht ausreiche, um ihre Kosten zu decken. Für Kalliauer führt daher an einem Mindestlohn von 1.700 Euro mittelfristig kein Weg vorbei.

"Keine Billiglohnbranche"

Aktuell verdienen Vollzeitangestellte im Handel gemäß Kollektivvertrag 1.546 Euro brutto monatlich. Das sind 1.227 Euro netto. Ab Dezember dürfen aufgrund des reformierten Tarifsystems 1.600 Euro nicht mehr unterschritten werden, allerdings haben Arbeitgeber bis Ende 2021 Zeit, auf das neue Gehaltsschema umzusteigen.

Dass Österreichs Einzelhandel nach wie vor eine Billiglohnbranche ist, lässt Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsverbands, nicht gelten. "Wir sind bald auf 1.600 Euro, obwohl es den Betrieben fünf Jahre lang wirtschaftlich schlecht ging." Seine Branche habe sich zuletzt stark bewegt. "Es geht um viel Geld und viele Jobs."

Mayer-Heinisch warnt davor, "wie die Schlange" auf die untersten Einkommen zu starren. Wichtiger sei es, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Es gelte, nicht allein über Löhne zu reden, sondern auch über Zuschläge, Tagesarbeits- und Öffnungszeiten.

Nicht aus dem Blick verlieren dürfe man zudem, dass ein Teil der Umsätze und Arbeitsplätze im Handel in Niedriglohnländer gen Osteuropa abwandern würden – ob nun in der Logistik oder in der IT. Auch das schwäche die Kaufkraft.

Wirtschaftlicher Effekt gering

Jürgen Bierbaumer, Experte des Wirtschaftsforschungsinstituts, hält die Stärkung der verfügbaren Haushaltseinkommen sehr wohl für wünschenswert. Von der Anhebung der Mindestlöhne sei jedoch nur ein kleiner Teil aller Beschäftigten betroffen. Auch sei der gesamtwirtschaftliche Effekt nur sehr gering, wie er im Gespräch mit dem STANDARD resümiert. Unternehmen reagierten auf steigende Lohnkosten in der Regel ja mit höheren Preisen. Parallel dazu gehöre daher auch auf steuerlicher Ebene eingegriffen.

2015 verdienten 15 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten in Österreich weniger als 1.700 Euro brutto im Monat. Das sind 320.000 Arbeitnehmer. Am stärksten betroffen seien die Mitarbeiter des Handels. Bierbaumer hält die stufenweise Anhebung auf 1.600 Euro Mindestlohn in der Branche für einen unglücklichen Zeitraum, da er die Wirkung auf die Gesamtwirtschaft zusätzlich mindere.

Mit 400.000 Mitarbeitern ist der Handel der zweitgrößte Arbeitgeber des Landes. Am Laufen gehalten wird er von Frauen. Ein wesentlicher Teil der Jobs findet sich abseits der Ballungsräume. Die in den vergangenen Jahren neu geschaffenen Stellen waren in erster Linie Teilzeitjobs. Am 14. November nehmen die Sozialpartner in ihrer zweiten Verhandlungsrunde die Gehälter 2018 in Angriff. (Verena Kainrath, 6.11.2017)