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Von Orange-Braun und Orange-Schwarz über Schwarz-Weiß bis Creme reichen die Farbvariationen von Kunekune-Schweinen – eine 300 Jahre alte neuseeländische Freilandrasse.

Foto: Picturedesk / Action Press / Newsteam / Mathew Growcoot

Ein Kunekune-Schwein in der Wiener Versuchsanordnung beim Versuch eine Belohnung zu erhaschen.

Foto: Ariane Veit

Wien – Schweine sind unterschätzte Tiere: Sie baden gerne in Schlamm, weil sie das kühlt und ihnen lästige Insekten vom Leib hält. Aber sie würden sich nie freiwillig länger als nötig in der Nähe ihres eigenen Kotes aufhalten, wie sie das in der Intensivtierhaltung oft müssen. Ihr "schmutziges" Image ist also unverdient. Dass sie auch kognitiv besser sind als ihr Ruf, konnten Forscher des Messerli-Forschungsinstitutes der Veterinärmedizinischen Universität Wien kürzlich zeigen.

Ludwig Huber, Marianne Wondrak und Ariane Veit widmen sich seit 2014 den intellektuellen Fähigkeiten von Österreichs wichtigstem Fleischlieferanten. "Was die Kognition betrifft, wurde an Schweinen bisher wenig gemacht", sagt Ariane Veit, die Managerin des Schweinelabors.

Immerhin konnten die Tiere in einer britischen Studie darauf trainiert werden, aus mehreren Gängen zuverlässig denjenigen auszuwählen, in dem sie davor einen Experimentator mit einem Futterkübel haben verschwinden sehen. Von sozialen Lebewesen, die ihr Leben in Familiengruppen verbringen, hätte man allerdings mehr erwartet: Immerhin stellt das Lernen von anderen, sei es durch Nachahmung, sei es durch Vermeidung von deren Fehlern – kurz: soziales Lernen -, einen wesentlichen evolutiven Vorteil dar.

Eine Frage der Haltung

"Es erschien uns unwahrscheinlich, dass Schweine nicht zu sozialem Lernen imstande sein sollten", sagt Veit. Studienleiter Ludwig Huber kam auf die Idee, es könne an der Haltung liegen, dass die Tiere hinter den Erwartungen zurückblieben. In der Folge suchte man eine Rasse, die weitgehend naturnah lebt, und fand sie in Kunekune-Schweinen. Dabei handelt es sich um eine mehr als 300 Jahre alte Freilandrasse aus Neuseeland, die als besonders menschenfreundlich, ruhig und ausgeglichen gilt.

Es wurden drei Kunekune-Säue angeschafft, die – mittlerweile mit ihren 36 Nachkommen – an der Forschungsstation Haidlhof südlich von Wien ganzjährig draußen gehalten werden und sich dabei weitgehend selbstständig ernähren. "Das Gelände, das ihnen zur Verfügung steht, ist acht Hektar groß", sagt Veit, "da müssen sie ihr volles Potenzial ausschöpfen, um satt zu werden."

Auch in einem anderen Punkt wich die Wiener Forschungsgruppe vom Üblichen ab: In den wenigen bisher durchgeführten Studien sollten die Schweine von gleichaltrigen Artgenossen lernen. Auf dem Haidlhof dagegen ging es darum, ob Ferkel sich am Verhalten älterer Verwandter orientieren. Väter und Onkel kamen diesbezüglich nicht zum Einsatz, denn Eber leben einzelgängerisch oder in losen Männerverbänden. Klassische Schweinerotten bestehen aus Weibchen und ihren Jungen: Meistens umfasst eine derartige Familiengruppe zwei bis drei Schwestern und deren ein- bis zweijährigen Nachwuchs.

Tür per Schnauze schieben

Huber, Veit und Wondrak stellten zuerst die beiden Säue Beauty und Zora vor eine technische Aufgabe: Sie sollten eine Schiebetür mit der Schnauze zur Seite bewegen, um an eine dahinter verborgene Belohnung zu gelangen. Dabei wurde Beauty trainiert, die Tür mittels eines weißen Balkens nach links zu schieben, während Zora lernte, denselben Effekt zu erreichen, indem sie einen blauen Balken nach rechts bugsierte.

Danach kamen die Ferkel dran: Sechs von ihnen sahen zu, wie Zora die Tür öffnete, sechs beobachteten Beauty bei ihrer Methode, und sechs weitere durften sich ohne Vorbild an der Testapparatur versuchen. "Wir wollten herausfinden, welchen Lernmechanismus die Ferkel anwenden würden, um zum Ziel zu kommen", sagt Veit. Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten: Kognitiv am anspruchsvollsten ist Imitation, also echtes Nachahmen, das bisher zum Beispiel für Schimpansen und Hunde nachgewiesen wurde. Wird eine Aktion nicht direkt nachgemacht, sondern nur der Effekt erzielt, den sie hervorruft, spricht man von Emulation.

Und dann gibt es noch das sogenannte "Enhancement", bei dem ein bestimmter Ort oder Reiz mit der beobachteten Handlung in Verbindung gebracht wird: Im Falle der Ferkel hätten das die beiden Seiten der Schiebetür beziehungsweise die Farbe der daran angebrachten Balken sein können.

Soziales Lernen

Mit den "billigeren" Varianten hielten sich die kleinen Kunekune-Schweine aber nicht auf. Stattdessen lernten sie nicht nur, die Tür erfolgreich aufzuschieben, sondern bewegten sie auch jeweils in die Richtung, die ihnen Beauty beziehungsweise Zora vorgezeigt hatte. Veit: "Dieses Resultat lässt uns darauf schließen, dass es sich um eine Variante von Emulation handelt: Die Schweine haben offenbar die grundlegende Funktion der Tür verstanden."

Darüber hinaus bewiesen die Tiere ein ausgezeichnetes Gedächtnis: Auch 24 Stunden später und ohne nochmalige Demonstration verwendeten sie zielsicher dieselbe Technik wie ihre Mutter oder Tante am Vortag. Die Kontrollgruppe ohne Vorbild schob die Tür übrigens ursprünglich in beide Richtungen, entwickelte jedoch im Lauf der Zeit eine Präferenz für die linke, also die Beauty-Variante. Es sieht also so aus, als gebe es eine natürliche Bevorzugung für diese Seite. Dass die Ferkel, die Zora zuschauten, trotzdem brav nach rechts schoben, belegt laut Veit, dass es sich tatsächlich um soziales Lernen handelt.

Diese Erkenntnis könnte man sich in der Schweinezucht zunutze machen: "In den Anfangsmonaten fressen die Ferkel oft nicht so gut", sagt Veit, "das könnte sich eventuell verbessern, wenn man sie gemeinsam mit Müttern oder Tanten an die Futterstellen ließe, wo sie die Möglichkeit hätten, sich von ihnen etwas abzuschauen." (Susanne Strnadl, 10.11.2017)