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Der Prozess erregt großes Aufsehen.

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14 Personen, unter anderen die Führer der Demokratischen Front, Andrija Mandić (links) und Milan Knežević, stehen vor Gericht. Ihnen drohen bis zu 15 Jahre Haft wegen Bildung einer kriminellen Organisation.

Foto: AFP/Prevlevic

Auf manchen Fotos sieht er nicht gerade vertrauenswürdig aus: die Augen hinter dunklen, spiegelnden, tropfenförmigen Sonnenbrillen verborgen, der rote Bart reicht in zwei langen Zwirbeln bis zur Brust, die Haare sind kurz geschoren. Saša Sinđelić will offensichtlich Eindruck machen. Der Tschetnik wird nicht nur in Kroatien wegen Mordes gesucht, er soll zudem serbische Freischärler, die auf der Krim russische Truppen unterstützten – genannt die Wölfe –, angeführt haben. Nun ist Sinđelić auch der Kronzeuge im montenegrinischen Putschversuchsprozess.

Am Dienstag erklärte Sinđelić, dass das Codewort für den Zugang zu den Waffen "Schnaps" gewesen sei, und erzählte von Verbindungen zum früheren serbischen Gendarmeriechef Bratislav Dikić und zur montenegrinischen prorussischen Oppositionspartei Demokratische Front (DF).

Der "Putschversuch"

Der Hintergrund: Am 16. Oktober 2016 fanden in Montenegro Parlamentswahlen statt. Die Regierungspartei DPS, die seit Jahrzehnten an der Macht ist, musste mit Verlusten rechnen. Bereits im Vorfeld wurde vor einem Putschversuch durch russische Agenten gewarnt. Und in der Nacht nach der Wahl waren plötzlich soziale Medien abgeschaltet, und es hieß, eine Gruppe von Terroristen habe versucht, den damaligen Premier Milo Ðukanović zu ermorden, die Regierung zu stürzen, ein prorussisches Regime zu installieren und damit zu verhindern, dass Montenegro der Nato beitritt.

Der angebliche Putschversuch wurde sofort mit Demokratischen Front, die von vielen Serben gewählt wird, in Zusammenhang gebracht. Nicht nur die DF war gegen den Nato-Beitritt, der im Juni vollzogen wurde, auch viele Serben in Montenegro wollten nicht Teil des Militärbündnisses sein. Montenegro ist ein multinationaler Staat, bei der Volkszählung 2011 bezeichneten sich 45 Prozent als Montenegriner, 29 Prozent als Serben, neun Prozent als Bosniaken und fünf Prozent als Albaner. Nun stehen 14 Personen, darunter die Führer der Demokratischen Front, Andrija Mandić und Milan Knežević, vor Gericht. Ihnen drohen bis zu 15 Jahre Haft wegen Bildung einer kriminellen Organisation.

Russische Verbindungen

Doch die Angelegenheit ist aus mehreren Gründen undurchsichtig. Die Opposition und einige Antiregierungsmedien behaupten, der gesamte Putschversuch sei von der Regierung erfunden worden, damit die DPS an der Macht bleibt. Der angebliche Putschversuch sollte dazu dienen, einen Außenfeind zu stilisieren, um selbst die Reihen zu schließen.

Merkwürdig ist auch, dass Sinđelić nicht mehr nur der Hauptangeklagte ist, sondern den Kronzeugen spielt und unter Personenschutz steht. Er beschuldigt seine angeblichen Komplizen von der Demokratischen Front. Der Umstand, dass ausgerechnet jener Mann, der eine Terrorattacke geplant haben soll, nun alle möglichen Gegner der Regierung anpatzt, wirkt verdächtigt und wird auch von Justizexperten kritisiert. Die montenegrinische Justiz gilt schließlich als politisch stark beeinflussbar – wichtige Reformen stehen noch bevor.

Sinđelić sagte nun aus, er sei von russischen Geheimdienstoffizieren angeheuert worden, habe sich mit den Agenten in Moskau getroffen und Geld von den Russen bekommen – insgesamt 200.000 Euro. Er behauptet auch, die Demokratische Front habe für den Putsch finanzielle Unterstützung aus Moskau erhalten und Waffen und Spezialteams zur Verfügung gehabt. Russland weist jegliche Verbindung in der Angelegenheit zurück. Unklar bleibt insgesamt, weshalb trotz dieser angeblich umfassenden Vorbereitung und Ausrüstung der Putschversuch nicht wirklich realisiert wurde.

Dubiose Geschäfte

Bislang gibt es noch keine handfesten Beweise. Es gibt allerdings Hinweise auf eine dubiose Finanzgebarung der DF. Die Partei konnte einige Geldposten nicht hinreichend erklären. Die Antikorruptionsbehörde, die über die Finanzflüsse zu den Parteien Bescheid weiß, hat bisher keine Daten veröffentlicht. Die Regierungspartei DPS vermutet Geld aus Russland. Allerdings würde finanzielle Unterstützung aus Russland für die DF – anders als bei den Untersuchungen zum Einfluss Russlands in den Trump- Wahlkampf in den USA – in Montenegro nicht als Verbrechen geahndet werden.

Russland war und ist gegen die Nato-Mitgliedschaft des winzigen Adriastaats – allerdings war die Entscheidung zum Zeitpunkt des angeblichen Putschversuchs längst gelaufen. Russland hatte sich bereits Jahre davor auf seinen Einfluss in Mazedonien, Serbien, aber vor allem im bosnischen Landesteil Republika Srpska konzentriert. Richtig ist allerdings auch, dass die beiden russischen Agenten Eduard Schischmakow und Wladimir Popow in Montenegro und Serbien aktiv waren und mit Sinđelić in Kontakt standen. Ihre Auslieferung wurde beantragt. Damit kann allerdings nicht gerechnet werden.

Rolle der Kirche

Eine merkwürdige Rolle spielt auch die serbisch-orthodoxe Kirche, die dem Gericht Garantien für drei der serbischen Angeklagten angeboten hat. Diese sollten freigelassen werden und in ein serbisches Kloster gehen, aber dem Gericht zur Verfügung stehen. Liberale Stimmen kritisierten die Einmischung der Kirche in staatliche Angelegenheiten. Der Prozess in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica wird live im Fernsehen übertragen und von der Regierung politisch genutzt. Die Live-Übertragung macht die Angelegenheit noch kontroversieller.

Spätestens seit dem Ukraine-Konflikt ist der Kampf um die Einflusssphären Russlands und des Westens stärker wahrnehmbar. Auf dem Balkan ist die russische Propaganda dauerpräsent – zahlreiche Medien wie etwa Sputnik, aber auch lokale Webseiten versuchen Einfluss zu nehmen. Auch die gemeinsamen Aktivitäten von serbischen und russischen Staatsbürgern haben kürzlich wieder für Aufruhr gesorgt. Der ukrainische Botschafter in Serbien, Olexander Alexandrowytsch, sagte kürzlich zu der Plattform "Balkaninsight", dass Moskau Serbien für seine Auseinandersetzungen anderswo "einsetze" und nicht verhindere, dass serbische Staatsbürger auf der russischen Seite in der Ukraine kämpften. Russland versuche zudem den Balkan zu destabilisieren. Serbien protestierte lautstark gegen diese Statements.

Der wichtigste und engagierteste Vertreter der USA auf dem Westbalkan, Vizestaatssekretär Hoyt Brian Yee, sagte kürzlich, dass Serbien nicht ewig "auf zwei Sesseln gleichzeitig" sitzen könne, und meinte damit, dass sich Belgrad für den Westen oder für Russland entscheiden müsse. (Adelheid Wölfl, 8.11.2017)