Die scheidenden Präsidenten Christoph Leitl (links) und Rudolf Kaske haben keine Freude mit der Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft.

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Je näher eine Regierungsbeteiligung der FPÖ rückt, desto lauter wird das Säbelrasseln. Insbesondere das von den Freiheitlichen forcierte und von den Neos ebenfalls geforderte Ende der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern setzt den Sozialpartnern zu. Von einer Erosion der Kollektivverträge ist beispielsweise die Rede. Diese würde zwangsläufig drohen, wenn Betriebe aus ihren Fachverbänden austreten könnten und nicht mehr an die Tarife gebunden wären, poltern Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Wirtschaftskammer unisono.

Von namhaften Experten wird diese Ansicht geteilt, allerdings mit Einschränkungen, wie Robert Rebhahn, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien festhält. Seine Einschätzung: Die Zukunft der Kollektivverträge hänge davon ab, welche Regelungen eine allfällige Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft begleiten.

Fixe Anwendung für alle

So könnte man die Arbeitgeber dazu verpflichten, die Kollektivverträge weiterhin einzuhalten, auch wenn sie sich aus der Kammer verabschiedet haben, erläutert Rebhahn. "So kann man die Unternehmen wieder einfangen." Wenn die Arbeitgeber damit rechnen müssen, die Kollektivverträge ohnehin weiter anwenden zu müssen, würden sie möglicherweise gar nicht aus dem Verband austreten, da sie dann die Mitbestimmung verlieren.

Der Experte räumt zugleich ein, dass derartige Unterfangen gut überlegt werden müssten, gebe es doch einige Fallen. Nicht zuletzt europarechtliche Vorgaben seien zu berücksichtigen. So verweist Rebhahn auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, bei dem die Bindung eines Unternehmens an den Kollektivvertrag nach einem Verkauf als bedenklicher Eingriff in die unternehmerische Freiheit erachtet wurde.

Verfassungsrechtliche Probleme

Davor hatte auch Arbeiterkammer-Direktor Christoph Klein im STANDARD auf ähnliche Probleme bei der Erwerbsfreiheit aufmerksam gemacht, sollten die Unternehmen gesetzlich zur Anwendung von Tarifen vergattert werden, bei denen sie nicht mitgewirkt haben. Das untergrabe auch die demokratische Legitimation der Selbstverwaltung, so Klein.

Rebhahn meint aber auch zu diesem Problem, dass es nicht unlösbar sei. Das zeigten Modelle in anderen Ländern, in denen das System ohne Pflichtmitgliedschaft funktioniere: "Wenn das woanders geht, könnte es auch bei uns gehen." Er erinnert an die deutsche Regelung, wonach ein Kollektivvertrag auch auf Unternehmen außerhalb der Verbände erstreckt werden kann. Zudem kann jetzt schon ein KV amtlich verfügt werden ("Satzung"). (Andreas Schnauder, 8.11.2017)