Nick Hopwood, "Haeckel's Embryos: Images, Evolution, and Fraud". € 40,49 / 388 Seiten. Chicago University Press, Chicago 2015

University of Chicago Press

Der Wissenschaftshistoriker Nick Hopwood ist Professor an der Uni Cambridge und promovierter Entwicklungsbiologe.

Daniel Liu

Wien – Sein Kampfname "General-Feldmarschall des Darwinismus" war gut gewählt. Tatsächlich gab es nur wenige Streiter für die Evolutionstheorie, die sich so militant für sie einsetzten und damit so nachhaltigen Erfolg hatten wie der deutsche Mediziner und Biologe Ernst Haeckel (1834–1919). Wenn sein Name im Vergleich zu dem von Charles Darwin heute eher vergessen ist, so war Haeckel doch rund um den Ersten Weltkrieg im deutschsprachigen Raum ein womöglich noch bekannterer Wissenschafter als sein bewunderter englischer Kollege.

Das hatte auch außerwissenschaftliche Gründe: So ließ sich Haeckel 1904 vor dem Denkmal Giordano Brunos in Rom zum "Gegenpapst" ausrufen. Der von ihm wenig später gegründete Monistenbund – eine Art atheistische Weltanschauungsbewegung – hatte im deutschsprachigen Raum bis zu 6.000 Mitglieder, darunter zahlreiche Universitätsprofessoren. Die Politik bezeichnete Haeckel als "angewandte Biologie", und er selbst avancierte zum Vordenker einer sozialdarwinistischen Eugenik.

Ernst Haeckel im Jahr 1906, als er den deutschen Monistenbund gründete.

Autor zahlreicher Bestseller

Bekannt wurde Haeckel aber vor allem durch seine populärwissenschaftlichen Bücher: Sein Bestseller "Die Welträtsel" (1899) war das bestverkaufte naturwissenschaftliche Sachbuch in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg. Und seine fantastisch illustrierten "Kunstformen der Natur" (1904) sind kürzlich erst wieder in einer preiswerten Neuedition im Taschen Verlag veröffentlicht worden.

Noch wichtiger für die Popularisierung von Darwins Lehren war aber Haeckels "Natürliche Schöpfungsgeschichte" (1868), die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs elf Auflagen erreichte und in zwölf Sprachen erschien. Sogar Darwin selbst war davon begeistert: In der Einleitung zu seinem 1871 erschienenen Buch "The Descent of Man" schrieb Darwin mit Bezug auf Haeckels Werk: "Wäre dieses Buch erschienen, ehe meine Arbeit niedergeschrieben war, würde ich sie vermutlich nie zu Ende geführt haben."

Bildmaterial für Kontroversen

Ähnlich erfolgreich war Haeckels Buch "Anthropogenie" (1874), das vor allem aufgrund seiner Abbildungen bekannt wurde, aber auch für nachhaltige Kontroversen sorgte, wie Nick Hopwood sagt. Der Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Uni Cambridge, der Gast des Doktoratskollegs "Naturwissenschaften im historischen, philosophischen und kulturellen Kontext" der Uni Wien war, ist selbst promovierter Entwicklungsbiologe und hat ein mehrfach ausgezeichnetes Buch über Haeckels Embryobilder geschrieben.

Eines der Probleme der Evolutionstheorie war, dass es ihr bis dahin an überzeugenden Bildern gefehlt habe, erläutert Hopwood. Genau solche Bilder lieferte der grandiose Zeichner Haeckel mit seinen Zeichnungen der embryonalen Entwicklung von allen möglichen Wirbeltieren bis hin zum Menschen. Die Bilder machen eines auf den ersten Blick offensichtlich: So unterschiedliche Gestalten die Tiere inklusive Mensch im Laufe der Entwicklung annehmen, so ähnlich sind sie an deren jeweiligem Beginn.

Haeckels biogenetisches Grundgesetz

Was Haeckel damit illustrierte, war sein berühmtes biogenetisches Grundgesetz: Die Ontogenese, also die Entwicklung des einzelnen Lebewesens, ist eine Rekapitulation der Phylogenese, also der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Lebewesen. Oder noch kürzer und ebenfalls in Haeckels Worten: "Wir klettern unseren Stammbaum im Mutterschoß empor."

Eine der berühmtesten und zugleich umstrittensten Illustrationen in der Geschichte der Lebenswissenschaften: Haeckels Embryobilder, die sein biogenetisches Grundgesetz veranschaulichen, standen von Beginn an unter Manipulationsverdacht.
Ernst Haeckel, "Anthropogenie" (1874)

Die Illustrationen dazu sind, wie Hopwood in seinem wunderschön gestalteten Band "Haeckel's Embryos" zeigt, zu wissenschaftlichen Ikonen geworden, die bis in die jüngste Gegenwart in Artikeln und (Lehr-)Büchern wiederabgedruckt werden. Erst im Jahr 2010 schaffte es eine Version davon auf das Cover der Wissenschaftszeitschrift "Nature".

Die biologiehistorisch ziemlich einzigartige Verbreitung dieser Bilder ist selbst eine eigene Geschichte wert, die Hopwood minutiös rekonstruiert hat. Besondere Dramatik erhält diese Erzählung dadurch, dass die Bilder quasi von Geburt an unter Fälschungsverdacht standen.

Vortrag von Nick Hopwood über den Inhalt seines Buchs (beginnt bei 1:04:20).
Universität Göttingen

Kopie statt Originalzeichnung

Haeckel, der seine Zeichnungen nicht anhand echter Embryos, sondern durch Kopieren aus anderen Büchern erstellte, wurde 1875 vom Anatomen Wilhelm His der Manipulation bezichtigt. Das war damals Wasser auf die Mühlen der Darwin-Gegner, die Haeckel Betrug vorwarfen.

Der ging in der vierten Auflage der "Anthropogenie" 1891 kurz darauf ein, entschuldigte sich für seine "Torheit", einen Druckstock mehrfach verwendet zu haben, ging aber gleich zum Gegenangriff über. Zu dem Zeitpunkt war die Haeckel-Embryo-Debatte zwar schon von anderen Fragen rund um den "General-Feldmarschall des Darwinismus" überlagert. Aber sie kehrte immer wieder, etwa in einer Schrift von Arnold Braß 1908.

Titelblatt des Pamphlets von 1908, in dem Arnold Braß seine Vorwürfe gegen Haeckel ausbreitete.
Foto: Arnold Braß 1904

Neue alte Vorwürfe

Über 100 Jahre später kam es zu einer Neuauflage des Fälschungsvorwurfs: "Betrug wiederentdeckt" titelte 1997 das Fachblatt "Science", auch auf Basis von Untersuchungen des US-Embryologen Michael Richardson. Darüber freuten sich damals vor allem US-Kreationisten, die glaubten, ein Argument gegen die Evolutionstheorie in der Hand zu haben.

Standbild aus "Hoax of Dodos", einem Youtube-Video von 2007, veröffentlicht vom Discovery Institute, dem Hauptquartier des "Intelligent Design". Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts zeigt einem Skeptiker Haeckels Embryobilder in einem Lehrbuch.
Foto: YouTube

Richardson zog seine Vorwürfe später unter Verweis auf den historischen Kontext rund um 1870 zurück. Dessen gründlichste Rekonstruktion liefert Nick Hopwood in seinem Buch, dem eine deutsche Übersetzung zu wünschen wäre: Zu Haeckels Zeiten galten einfach andere Standards des wissenschaftlichen Arbeitens.

Da damals nur wenige Embryonen verfügbar waren, sei es etwa üblich gewesen, Zeichnungen aus anderen Lehrbüchern zu kopieren – was mit Haeckels Embryos selbst dann am aller öftesten geschah. (Klaus Taschwer, 8.11.2017)