Ein Kilogramm der durch eine Panne entdeckten Wachswolle saugt sechs Liter Öl, aber kein Wasser auf.

Foto: Europäisches Patentamt

Das demonstriert Günter Hufschmid, Chef des deutschen Unternehmens Deurex.

Foto: Europäisches Patentamt

Wien – Im September 2017 traf es die Küsten von Salamis und Piräus. Der griechische Tanker Agia Zoni II, beladen mit über 2500 Tonnen Rohöl und Treibstoff, sank und verursachte eine Ölpest im Saronischen Golf nahe Griechenlands Hauptstadt Athen. Es ist der neueste Vorfall der langen Liste an Ölunfällen, die sich beinahe jedes Jahr erweitert. Namen wie Exxon Valdez, jener Tanker, der 1989 vor Alaska sank, klingen noch im Ohr. Andere Vorfälle wie etwa ein Pipelineschaden, der 2010 das Nigerdelta verpestete, wird weniger öffentliche Aufmerksamkeit zuteil – auch wenn der Schaden für Ökosystem und Bevölkerung vor Ort enorm ist.

Die Aufräumarbeiten in Griechenland sollen vier Monate dauern. In anderen Fällen braucht es Jahrzehnte, bis der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt ist. Eine UN-Studie kam 2011 etwa zum Ergebnis, dass es 30 Jahre dauern würde, um die 1000 Quadratkilometer große Nigerdelta-Region zu reinigen.

Zu den möglichen Ölbindemitteln, die bei derartigen Unfällen eingesetzt werden können, hat sich in den vergangenen Jahren ein weiteres dazugesellt; ein Mittel, das sowohl im großen Stil mit speziellen Schiffen als auch im kleinen Rahmen von den Betroffenen vor Ort eingesetzt werden kann.

Mikrowachs

Hinter der Erfindung dieses Bindemittels steckt eine besondere Geschichte. Sie beginnt im Jahr 2010 in der Gemeinde Elsteraue in Sachsen-Anhalt. Dort ist das Unternehmen Deurex beheimatet, das sich mit heute 100 Mitarbeitern auf spezielle Wachse spezialisiert hat. "Wir sind seit 35 Jahren im Wachsgeschäft. Wir machen Wachse als Mikronisate, als feine Partikel, die Druckfarben und Lacken zugegeben werden", erklärt Ernst Krendlinger, Chemiker bei Deurex. "Wenn man eine Zeitung liest, hat man nach zwei Minuten schwarze Finger von der Druckfarbe. Wenn man dagegen ein Buch liest, werden die Finger nie schwarz. Diesen Unterschied machen die zugegebenen Wachse aus."

Bei der Herstellung der Mikronisate wird das Wachs aufgeheizt und zu kleinsten Partikeln mit wenigen Tausendstelmillimeter Durchmesser versprüht. Nicht so an einem Abend des Jahres 2010: "Da sind bei einem Versuch das verkehrte Wachs, die verkehrte Temperatur und der verkehrte Druck genommen worden", blickt Krendlinger zurück. Und nicht nur das: "Die Herstellung ist die ganze Nacht über gelaufen."

Die Form des versehentlich produzierten Wachses war dem Chemiker neu. Die Konsistenz ähnelte jener von Watte oder Wolle. Ein Gramm, so werden spätere Untersuchungen zeigen, bringt es auf eine Oberfläche von drei Quadratmetern. Über Nacht war eine ansehnliche Menge zusammengekommen. "Wir haben an die zehn Tonnen im Betrieb stehen. Die ganze Lagerhalle war voll", erzählt Krendlinger. "Als ich in der Früh reinkam, hat mich fast der Schlag getroffen."

Was also tun? Wären es nur wenige Kilogramm gewesen, hätte man das Wachs entsorgt. Das Einschmelzen zu Kerzen stand zur Debatte. Im Betrieb wollte man die neuartige Watte aber genauer untersuchen. Man begann damit zu experimentieren. "Wir haben alle möglichen Varianten ausprobiert und gesehen, dass es Lösemittel, dass es auch Öl und Rohöl aufnimmt, und das sogar unter Wasser." Das Wasser selbst wird von dem stark hydrophoben Material allerdings nicht aufgesaugt.

Ölunfall im Golf von Mexiko

Kurz davor war es zu dem Unfall auf der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko gekommen, bei dem weit über 600.000 Tonnen Öl ins Meer gelangten. "Die ganze Welt machte sich Gedanken, wie man das Öl zurückgewinnen und den Ozean retten kann", erinnert sich Deurex-Chef Günter Hufschmid an diese Zeit.

"Wir haben damals recherchiert, ob es bereits ein derartiges Wachs gibt", blickt Krendlinger zurück. "Nachdem wir nichts gefunden haben, wollten wir ein Patent anmelden." Das wurde zuerst einmal abgelehnt. Krendlinger machte sich also nach München auf, um dem ungläubigen Patentprüfer die Watte vorzuführen. "Ich hatte die Salatschüssel meiner Frau und Öl dabei und habe dem Patentprüfer das vorgemacht. Eine Woche später war das Patent erteilt." Jahre später, 2017, wurde Firmenchef Hufschmid mit dem Europäischen Erfinderpreis, den das Europäische Patentamt jährlich vergibt, ausgezeichnet.

In den Jahren nach der Erfindung wurde die "Zauberwatte", wie Mitarbeitern sie nennen, optimiert, verschiedene Ausgangsmaterialien wurden ausprobiert. Als Produktname wurde "Pure" ausgewählt. Eine eigene Produktion wurde aufgebaut. Beim Hochwasser von 2013, das auch die Gegend um den Unternehmensstandort betraf, wurde die neuartige Wachswolle eingesetzt. Man bekam Feedback von den Feuerwehren. Mit der Watte kann der Ölfilm in von Hochwasser betroffenen Häusern aufgesaugt werden, solange er noch auf der Wasseroberfläche schwimmt. Geht das Wasser zurück, wird auf diese Art nicht das ganze Gebäude "verschmiert".

Das Wachs habe aber noch weitere Vorteile gegenüber konventionellen Bindemitteln, betont der Chemiker. Es schwimmt wie das Öl auf dem Wasser. Es bindet nur Öl, kein Wasser. Und man kann es in einem Stück wieder aus dem Wasser holen und wiederverwerten. Nach dem Auspressen oder Zentrifugieren kann die Wachswolle weitere vier-, fünfmal eingesetzt werden, bis ihre Struktur zerstört ist. Auch das zurückgewonnene Öl bleibt unverändert und kann weiterverwendet werden. Ein Kilo Watte könne sechseinhalb Liter Öl binden.

Nach wie vor sei allerdings der Wirkmechanismus hinter der Zauberwatte unklar, sagt Krendlinger. "Am ehesten könnten es Kapillarkräfte sein, durch die sich das Öl in den feinen Fäden hochsaugt", mutmaßt der Chemiker. "Wir wissen es aber nicht." Ein Forschungsprojekt mit der Uni Freiburg soll Klarheit bringen.

Anwendung in Windrädern

Natürlich hat sich das Unternehmen auch auf die Suche nach Branchen gemacht, die ihr Produkt brauchen können. Jeder Bereich, bei dem Öl im Spiel ist, kommt infrage. Eine Anwendung hat sich in – Überraschung – der Windenergie gefunden. "Derzeit ist unser größter Erfolg die Anwendung in Windrädern", sagt Hufschmid. In großen Windrädern werden hunderte Liter Hydrauliköl eingesetzt. Die Watte sorgt dafür, das Lecks nicht der Umwelt schaden.

Und die Bekämpfung der Ölpest? Die deutsche NGO One Earth One Ocean, die sich der Reinigung der Meere verschrieben hat, hat das Wachs ab 2015 ins Nigerdelta gebracht, um dort mit der lokalen Bevölkerung Reinigungsprojekte durchzuführen. Krendlinger schwebt aber auch eine Anwendung im größeren Stil vor: Da aufgrund des großen Volumens der Watte nicht günstig transportierbar ist, würde er gerne auf Schiffen Produktionsanlagen installieren. Auf der einen Schiffseite könnte die Watte ausgebracht, auf der anderen wieder aufgenommen werden, um sie zu zentrifugieren und erneut auszubringen. Mit Vertretern der Ölbranche ist Deurex in Verhandlungen. (Alois Pumhösel, 11.11.2017)