Haley Fohr veröffentlicht unter dem Pseudonym Circuit Des Yeux sinistre Songs in der Tradition von Karen Dalton, Nina Simone oder Nico.


Foto: Drag City

Wien – Die Versuche der Selbstfindung sind ebenso mannigfaltig wie mitunter gefährlich. "Stick your head into a paper bag / and see just what you find. Was it you? Was it me? Or was it another type?", heißt es auf dem neuen Album von Haley Fohr im Song Paper Bag. Und weiter: "Stick your head into a paper bag / Four corners you may find/ Was it the memory / Of every room you've been inside?"

Drag City

Natürlich kann die Technik nicht Wunder wirken. Sie wird allerdings in ihrer Light-Version auch dazu benutzt, um Hyperventilation zu bekämpfen. Kopf nicht ganz rein, nur in das Sackerl ausatmen und den Odem der blöden Geschichte wieder einatmen. "Was it the memory?" Wie meinte neulich Österreichs bekanntester Schmuddelpoet im Hausmeisterkampfblatt: Erinnerung ist die Vorzimmerdame der Verzweiflung.

Unter schweren Inhalten wie Panikattacke, Verzweiflung, Leere, Dunkelheit und Erstickungsgefahr gibt es die in Chicago beheimatete US-Musikerin Haley Fohr, allerdings selten. Nachdem sie zwischendurch unter dem Pseudonym Jackie Lynn ein klischeehaftes Landei gegeben hat, das in der großen, bösen Stadt zum Coke-Dealer auf der Flucht wird und dazu grimmige Countrysongs zum Besten gibt, veröffentlicht sie nun wieder unter dem Signet Circuit Des Yeux.

Reaching For Indigo, das neue Album von Circuit Des Yeux, beweist speziell auch mit besagtem Stück Paper Bag, dass hier eine Kraft herangewachsen ist, deren dunkle Grundgestimmtheit vor allem auch vokal mit Altvorderen wie Nina Simone, Nico oder Scott Walker verglichen werden kann. Das sind Namen, die man an und für sich nicht fahrlässig aussprechen sollte. Annie Lennox auf Xanax wäre allerdings auch wieder zu hart als weitere Referenz.

Zwischen flirrenden Synthesizerschleifen im Stile klassischer amerikanischer Minimal und Drone Music (Tony Conrad, Terry Riley ...), nachgestellten akustischen Kaskaden auf dem Klavier und dem erschütternden Gitarrenfolk der 1993 früh verstorbenen US-Bluestragödin Karen Dalton bemüht sich Haley Fohr redlich, die Balance zwischen Experiment und Eingängigkeit zu halten.

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Wenn in der Kunst Fliegen auftauchen, weiß man gewöhnlich, dass es während der nächsten Minuten zu keinem gefühlsmäßigen "Zip-a-dee-doo-dah, Zip-a-dee-ay, was für ein wunderschöner Tag, Sonnenschein auf allen Wegen" kommen wird. Neben Paper Bag einer der intensivsten Songs auf diesem Album: Black Fly. Haley Fohr verhandelt darin weitere Lieblingsthemen: "Nobody said it was easy / But it was so easy / To stand alone, the breeze in my hair / The wind in my hair / Black fly coming round the bend."

Waidwundes Klagen

Diese Welt ist düster und vollgestellt mit dunklen Ahnungen, dass das Leben einmal nicht gut ausgehen wird. Allerdings begeht Haley Fohr alias Circuit Des Yeux nie den Fehler, darüber in allzu melodiöses und sensibles Wehklagen zu verfallen, wie man es etwa von den waidwunden wie picksüßen akustisch gezupften Balladen kennt. Sie taucht in amerikanischen Krankenhausserien immer dann auf, wenn unheilbare Krankheitsverläufe diagnostiziert werden. Einzig Trip-Hop-Beats im Trauerduktus geben hier noch einen letzten Halt.

Circuit Des Yeux setzt gemeinsam mit befreundeten Musikern aus Chicago, unter anderem von der Band Bitchin Bajas, nicht nur auf Laptop-Elektronik und sehr ernsthaftes Schlagen der akustischen Laute. Auch solistische Freak-outs auf der verzerrten Elektrischen sind möglich. Mandolinen zirpen durch die endlose Nacht. Reine Lärmblöcke werden eingezogen, um die manchmal gefährlich drohende Weinerlichkeit im Ausdruck durch eine Text-Noise-Schere zu mildern.

Im letzten Lied des Albums erreicht der präsentierte Wahnsinn dieser Teufelsaustreibung von Schmerz und inneren Dämonen seinen Höhepunkt. Apropos Krankenhausserienmusik: Im sehr ruhigen Falling Blonde wird man Zeuge, wie ein Fußgänger Opfer eines Verkehrsunfalls wird. (Christian Schachinger, 9.11.2017)