Am 3. November erschien im STANDARD ein Kommentar der anderen zum bedingungslosen Grundeinkommen und ein Interview zur Zukunft der Arbeit angesichts technologischen Fortschritts. Im Gespräch ist die Arbeitssoziologin Annika Schönauer der Meinung, dass es eine Verschiebung von Arbeit geben werde, weil nicht für jeden wegfallenden Job Ersatz gefunden werden könne. Sie führt aus: "Ob es natürlich sinnvoll ist, alle Berufe, die technologisch ersetzt werden können, auch tatsächlich zu ersetzen, ist natürlich die wichtige Frage, die dahintersteht".

Schaffung sinnloser Jobs

Zweifellos ist das eine zentrale Frage. Beantwortet wurde sie seit dem Zweiten Weltkrieg vor allem damit, sinnlose Jobs zu schaffen, die der Wirtschaft und der Gesellschaft keinen Mehrwert brachten oder sogar schadeten. Die Bürokratisierung feierte in den letzten Jahrzehnten fröhliche Urständ. Im Blogbeitrag "Zuckerberg tritt für bedingungsloses Grundeinkommen ein" versuchte ich schon einmal auf diesen Wahnsinn hinzuweisen. An dieser Stelle will ich noch einmal zwei aufmerksame Beobachter dieser Entwicklung zitieren:

Der amerikanische Universalgelehrte Richard Buckminster Fuller meinte 1970, "dass wir mit der fadenscheinigen Vorstellung aufräumen sollten, dass jeder seinen Lebensunterhalt verdienen müsse". Es sei ein Fakt, dass einer in Zehntausend für einen technologischen Durchbruch verantwortlich sein kann, der den Rest versorgt. Wir erfänden Jobs wegen der falschen Vorstellung, dass jeder mit stumpfsinniger Plackerei beschäftigt sein müsse, weil er nach malthusianisch-darwinistischer Theorie sein Recht zu existieren rechtfertigen müsse. "Deswegen haben wir Aufseher von Aufsehern und Leute, die Werkzeuge für Aufseher erfinden, um Aufseher zu überwachen. Das wahre Geschäft von Menschen sollte sein, zurück in die Schule zu gehen und darüber nachzudenken, worüber sie nachgedacht haben, bevor ihnen jemand eingeredet hat, dass sie für ihren Lebensunterhalt zu sorgen hätten."

David Graeber, Anthropologe und Politikwissenschaftler an der London School of Economics, meint dazu, es sei erstaunlich, dass das gegenwärtige kapitalistische System solche Entwicklungen zulasse. Man sollte meinen, profitorientierte Unternehmen hätten einen Anreiz, "Bullshit Jobs" abzubauen, um konkurrenzfähiger zu werden. Stattdessen entwickelten wir eine Kultur, die jener der Sowjetunion immer ähnlicher wird: Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist wichtiger als wirtschaftliche Effizienz und Innovation.

Selbstfahrende Autos ersetzen keine Busfahrer

Anschaulich wird diese Problematik im Interview mit Schönauer. Einer ihrer Kollegen hat einen "schönen Satz" gesagt: "Nur weil es das selbstfahrende Auto gibt, heißt das nicht, dass alle Busfahrer ersetzt werden müssen". Ähnliches gab es bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Die durch die Elektrifizierung der Eisenbahnen nicht mehr benötigten Heizer wurden nicht entlassen, sondern auf Druck der Gewerkschaften als sogenannte "Beimänner" weiterhin beschäftigt. Dieses System wurde in Deutschland erst 1996 abgeschafft – bald geht es den Lokführern an den Kragen.

Selbstfahrende Autos als Zukunftsmodell könnte den Beruf des Fahrers ersetzen.
Foto: REUTERS/Issei Kato

Diskussion in der Utopiefalle

Auch Georg Vobruba, Professor für Soziologie an der Universität Leipzig, behandelt in seinem sechsteiligen Kommentar "Das Grundeinkommen in der Utopiefalle" die Digitalisierung ganz am Schluss, als Punkt VI. Zuerst stellt er fest, dass sich das Thema sehr gut eigne, um grundlegende Fragen zu erörtern – sie aber nicht überzeugend beantworten könne – und die Verwirklichung der Grundeinkommensidee in weiter Ferne bleibe. Die Diskussion befasse sich viel zu wenig mit Strategiefragen und hätte deshalb in eine Utopiefalle geführt.

Nun muss man erwähnen, dass sich Vobruba schon seit Mitte der 1980er mit dem Grundeinkommen beschäftigt und ich seine Kritik deshalb sehr gut nachvollziehen kann. Allerdings fand die Diskussion in den letzten Jahrzehnten nahezu ausschließlich im akademischen Bereich statt. Die Öffentlichkeit war davon weitgehend ausgeschlossen, für die Massenmedien war das Thema uninteressant. An diesem Zustand änderte sich auch nichts, als das Liberale Forum im Oktober 1997 das bedingungslose Grundeinkommen als eines seiner politischen Hauptziele festlegte und ein durchgerechnetes Modell präsentierte. Knapp zwei Jahre später scheiterte das LIF an der Vierprozenthürde und flog aus dem Nationalrat.   

"Bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist kaum denkbar"

Vor zwanzig Jahren galt man in Österreich tatsächlich noch als Spinner oder Kommunist, wenn man ernsthaft ein bedingungsloses Grundeinkommen forderte. Für die meisten war das Thema nicht mal wert darüber nachzudenken, so fern der eigenen Lebensrealität schien das Konzept. 

So meint auch Vobruba, das "Bedingungslose Grundeinkommen für alle" sei kaum denkbar. Er zieht es vor, von einem "garantierten Grundeinkommen" zu sprechen. Tatsächlich bedeutet das Attribut "bedingungslos" nichts anderes als "ohne Arbeitszwang", nicht mehr und nicht weniger. Der Zusatz "für alle" bedeutet lediglich, dass das Grundeinkommen "ohne Bedarfsprüfung" ausbezahlt wird. Die weiteren Merkmale eines Grundeinkommens, nach der Definition des Basic Income Earth Network (BIEN), des wichtigsten internationalen Grundeinkommensnetzwerkes, sind, dass es "periodisch" (nicht als Einmalzahlung), "nicht als Sachleistung" und "individuell" (nicht an Haushalte) ausbezahlt wird. Möglich sind nach der offiziellen Definition Diskriminierungen bezüglich des Alters – beispielsweise weniger für Kinder – und Geografie – für alle bedeutet keineswegs die Einführung für alle Menschen auf diesem Planeten.

"Tätiges Leben"

"Wie viele werden es überhaupt schaffen, in ein 'tätiges Leben' (Hannah Arendt) zu finden", fragt Votruba anschließend und meint damit die ungewissen Auswirkungen eines Grundeinkommens auf das Arbeitsangebot. Arendts "Vita Activa" beinhaltet drei Aktivitäten: Arbeit, Herstellung und Handlung (Labor, Work, Action). "Labor" ist jener Teil des tätigen Lebens, der für die Erhaltung und Reproduktion der menschlichen Spezies biologisch notwendig ist: Samen aussäen, Duschen, Nahrungsmittel einkaufen, Reproduktionsarbeit. Die Arbeit produziert nichts anderes als Leben und endet erst mit dem Verschwinden der Spezies. Der Prozess der Herstellung hingegen hat einen definierten Anfang und ein Ende. "Work" produziert Tische, Gebäude, Gedichte, Gemälde und Gesetze. "Work" erzeugt unsere objektive Realität. Der wichtigste Aspekt der "Vita Activa" ist für Arendt "Action", das politische Handeln. Während "Labor" und, etwas abgeschwächter, "Work" Notwendigkeiten sind, ist das Handeln Freiheit. Freiheit durch politisches Handeln bringt den Sinn in menschliches Leben.

Gerade diese, nach Arendt wichtigste Aktivität der "Vita Activa", würde durch ein Grundeinkommen massiv gestärkt. Beim Grundeinkommen geht es nicht primär um Geld – Grundeinkommen bedeutet mehr politische Handlungsfähigkeit und mehr Macht für die Einzelne und den Einzelnen.

Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind, wir sehen sie so wie wir sind

Und hier ist zugleich das Problem: Viele Menschen können sich ein Leben mit dieser Freiheit nicht vorstellen. Sie sind darauf konditioniert, Sinn ausschließlich in ihrer Lohn- und Reproduktionsarbeit zu finden. Sie fühlen sich wohl in ihrer geregelten Komfortzone und scheuen davor zurück, Verantwortung zu übernehmen. Veränderungen sind für sie eine Bedrohung. Alles soll so bleiben, wie es ist, oder sie wollen dorthin zurück, wo es vermeintlich einmal besser war. Das politische Handeln wird an einige Wenige delegiert. 

Wäre ein Grundeinkommen für viele eine zu große Veränderung im System?
Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Diese – teilweise reaktionäre – Neophobie ist dafür verantwortlich, dass die kulturelle Entwicklung der technologischen hinterherhinkt. Der Physiker und Historiker Thomas Kuhn, der den Begriff "Paradigmenwechsel" eingeführt hat, stellte die These auf, dass neue Ideen, auch wenn sie bewiesen sind, erst dann umgesetzt werden, wenn jene Generation, die sie als neu betrachtet, stirbt.

Homogene Gruppen verstärken diesen Zustand. Gegner der Gruppe werden mit Stereotypen wie schwach, böse, ohnmächtig, dumm, befangen und verrückt belegt. Es gibt Selbstzensur von Ideen, die vom scheinbaren Konsens abweichen. Es herrscht eine Illusion der Einstimmigkeit, Schweigen wird als Zustimmung gedeutet. Kritik an Entscheidungen wird als illoyales Verhalten interpretiert, es gibt starken Konformitätsdruck.

Schluss mit der Bürokratie

Wie eingangs beschrieben, ist die Kultur der Schaffung von Arbeitsplätzen seit vielen Jahrzehnten wichtiger als wirtschaftliche Effizienz und Innovation. Robert Anton Wilson bezeichnete den Kapitalismus als "jene Organisation von Gesellschaft, die die freie Marktwirtschaft verneint, während sie gleichzeitig vorgibt, ein Beispiel dafür zu sein." Ein gutes Beispiel dazu ist das europäische LKW-Kartell. Von 1997 bis 2011 haben die größten europäischen LKW-Hersteller nicht nur ihre Preise abgesprochen, sondern sollen vereinbart haben, keine Innovationen zur Senkung des Verbrauchs und der Emissionswerte auf den Markt zu bringen.

Doch die Zukunft spielt sich ohnehin längst woanders ab. Während es der Volkswagen- und Daimler-Konzern, beteiligt am LKW-Kartell, gerade noch in die Top 100 der wertvollsten Unternehmen nach Marktkapitalisierung schaffen (Platz 83 beziehungsweise 94), finden sich auf den ersten fünf Plätzen ausschließlich Unternehmen der Informationstechnologiebranche: Apple, Alphabet, Microsoft, Amazon und Tencent. Die Top 5 haben eines gemeinsam: Sie forschen an künstlicher Intelligenz.

Wenn Vobruba am Schluss seines Beitrags die Erfindung der Dampfmaschine mit der heutigen Entwicklung vergleicht, sitzt er in der Nostalgiefalle. Das Argument, dass der Gesellschaft durch den technischen Fortschritt die Arbeit abhanden kommt, ist tatsächlich uralt. Unsere Kultur konnte die Entwicklung mit der Schaffung von "Bullshit Jobs" weitgehend aufhalten. Allerdings ist es ein Unterschied, ob unsere Muskeln durch Maschinen ersetzt werden, oder unsere Gehirne. (Christian Tod, 10.11.2017)  

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