Medienwissenschafter Roman Hummel: "Faktencheck mag sinnvoll sein, erreicht die 'Verschwörungsgläubigen' aber nur bedingt."

Foto: fabian hummel

Wien – Kapazunder des Rundfunk- und Medienrechts tagen am Donnerstag und Freitag in Wien, Thema des Rundfunkforums: elektronische Medien im postfaktischen Zeitalter. Zum Auftakt ließen sich die Juristen von Kommunikationswissenschafter Roman Hummel erklären, dass (gezielte) Fehlinformationen kein ganz neues Phänomen sind.

STANDARD: Wenn es Fake News immer schon gab – warum dann heute die Aufregung?

Hummel: Weil Unsinnigkeiten nicht nur ein lokales Publikum finden. Weil zunehmend mit Fake-News versucht wird, politisches Kleingeld zu machen – siehe Wahlkampf in den USA, aber auch in Österreich. Weil Nachrichtenverbreitung über soziale Netzwerke praktisch kostenlos ist. Und weil keine zwischengeschalteten Filter – Redaktionen – dabei überwunden werden müssen. Und weil wir wissen, siehe Reuters Digital News Report, dass weltweit 45 Prozent Nachrichten über Facebook konsumieren und 32 Prozent Nachrichten über soziale Netzwerke teilen.

STANDARD: Wie sollen Journalisten damit umgehen?

Hummel: Faktencheck mag sinnvoll sein, erreicht die "Verschwörungsgläubigen" aber nur bedingt. Das war auch früher so. Empirische Befunde zeigen, dass "Dekonstruktion" noch am sinnvollsten, wenngleich kein Allheilmittel ist: Recherche, wer hat wann, wo die Fake-News in Umlauf gesetzt; in welchen Foren, Facebook-Gruppen werden sie am häufigsten geteilt und kommentiert; wem nützt dies?

STANDARD: Und wie sollten Plattformen wie Facebook damit umgehen?

Hummel: Keine Zensuralgorithmen! Stattdessen wäre die Offenlegung der Gruppenadministratoren – auch ohne juristische Anordnung – eine Notwendigkeit.

STANDARD: Klassische Mediengesetze sehen nicht nur in Österreich das Recht auf Gegendarstellung für faktenwidrige Darstellungen. Reichen die Bestimmungen – inhaltlich und im Wirkungsbereich – in Zeiten von Fake-News aus?

Hummel: Ein Recht auf Gegendarstellungen in sozialen Medien wäre – analog zum Mediengesetz – durchaus überlegenswert. Das heißt, der Antragsteller muss von der Falschnachricht persönlich betroffen sein, und es muss sich um eine Tatsachenbehauptung handeln.

STANDARD: Der Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet zur gewissenhaften und korrekten Recherche und zur tatsachengetreuen Wiedergabe, der Presserat achtet als freiwilliges Selbstkontrollorgan über die Einhaltung. Braucht es womöglich vergleichbare Selbstkontrollorgane für die digitale Welt?

Hummel: Aus heutiger Sicht ist das schwer vorstellbar, da ja nicht einmal alle österreichischen Medien den Presserat anerkennen.

STANDARD: Fakten- und Quellencheckplattformen gibt es längst, die etwa Posts auf Facebook prüfen und deren Zweifel zu einem "Umstritten"-Hinweis für den Post führen. Das hat allerdings schon originelle Reaktionen hervorgerufen: Eine davon betroffene Seite rief ihre Fans mit großem Erfolg dazu auf, die als "umstritten" markierten Inhalte zu teilen – die bösen Factchecker-Medien und Facebook versuche sie mundtot zu machen.

Hummel: Siehe oben: Dekonstruktion. Aber, gemäß dem mit "Grenzen der Aufklärung" betitelten Epigramm von Erich Kästner: "Ob Sonnenschein, ob Sterngefunkel, im Tunnel bleibt es immer dunkel." (Harald Fidler, 10.11.2017)